In der vorigen Nummer dieser Zeitschrift (Oktober 1967) haben wir auf einige Punkte hingewiesen, über die wir unserer Meinung nach mit den Leuten übereinstimmten, die das ‘Informations Correspondance Ouvrière’-Bulletin herausgeben, ohne unsere Missbilligung ihrer Weigerung zu verheimlichen, “eine genaue theoretische Kritik der aktuellen Gesellschaft zu formulieren”. Wir haben andererseits präzisiert, dass wir sie nicht direkt kannten. Inzwischen haben einige von denen, die heute bei uns sind, die Gelegenheit gehabt, sie direkt kennenzulernen, man wird aber sehen, dass wir sie nicht nur deshalb besser kennen.
Von ICO wussten wir damals nur das, was aus ihrem Bulletin herauszulesen war - also eine anti-gewerkschaftliche, in der Mehrheit anarchistische Gruppe. Es konnte uns also nicht wundern - da das eben Gesagte das Folgende erklärt - wenn sie von Räten sprachen, ohne zu wagen, sich selbst als Räte-Anhänger zu definieren und in ihrer Plattform (’Was wir sind und was wir sein wollen’) folgendes zur Definition ihrer Aktion schrieben: “Ihnen (=den Arbeitern) können wir nur Informationen liefern, genau wie sie uns welche geben können.” Das, was ‘Über das Elend im Studentenmilieu’ ICO’s Wahl des Nichtvorhandenseins nannte, deckt sich nur teilweise mit ihrer Wirklichkeit.
ICO existiert, und diese Existenz weist ein ziemlich schweres Gewicht an Unterlassungslügen, geheimer Hierarchie und unauffälligem Verriss auf. Ein Mitglied der ‘Wütenden’ (Riesel) wohnte Ende März 1968 einer ICO-Versammlung bei. Als er darum gebeten wurde, berichtete er über die Tätigkeit seiner Gruppe und die Gesamtsituation an den Universitäten in Nantes und Nanterre. Dieser Bericht wurde in der nächsten ICO-Nummer in feindseligem Ton und mit reichlich vielen Sinnwidrigkeiten veröffentlicht. Überrascht von diesem Übelwollen, auch wenn sie spürten, von wem der Tritt kam - da die Leute von ‘Noir et Rouge’, sowie Freunde von Cohn-Bendit und der ‘Bewegung des 22.März’ an ICO beteiligt sind - verlangten die ‘Wütenden’ schriftlich die Veröffentlichung einer härteren Besprechungsgrundlage. Zur nächsten Versammlung schickte die ‘Bewegung des 22.März’ einen Gesandten, der um die gleichzeitige Veröffentlichung einer Antwort auf die Besprechungsgrundlage bat, was die ‘Wütenden’ billigten. Unter dem Vorwand, es sei taktlos, die Leute, die man angreift, namentlich zu nennen (in diesem Fall Cohn-Bendit, der schon auf der ersten Seite aller Tageszeitungen war), haben die ICO-Bosse die Besprechungsgrundlage nie veröffentlicht.
Hier wird der Takt dieser Leute klar, der mindestens genau so groß ist wie die Diskretion, mit der sie gleichermaßen die Namen und Texte ihrer eigenen Oppositionellen verheimlichen. Denn ICO hat eine Opposition, für wie übernatürlich sie das auch immer halten lassen möchte. Vielmehr durch ihren Eifer, diese Plattheit zu verheimlichen, als durch ihre tugendhafte Abneigung gegen bedrucktes Papier lässt sich also ihre Wut erklären, als eine bestimmte Anzahl von Revolutionären schriftlich mit ihnen Kontakt aufnehmen wollte, nachdem sie die ‘ICO lesen’ betitelte Notiz in ‘S.I.’ Nr.11 gelesen hatten. In einem Rundschreiben vom 27.April 1968 beklagte sich ICO über die Kritik “einer ‘Wütende’ genannten Studentengruppe, die von den Situationisten beeinflusst sind und plötzlich Interesse an ICO gezeigt haben.” So bildeten sich die kleinen ICO-Eigentümer ein, sie seien schon unterwandert worden! Sie behaupteten weiter, es könne sich nur um ‘Ideologen’ und ‘Ethik’ besessene handeln (obwohl sie dabei nicht an ihren alten Freund Rubel dachten), denn der wirkliche Klassenkampf “spielt sich auf wirtschaftlichem Gebiet und außerhalb jeden ‘Bewusstseins’ (im ideologischen Sinne des Wortes) ab”. Kann jemand seine Gegner und die Arbeiter zugleich besser verachten? Und die historische Wirklichkeit?
Will ICO nichts anderes als Informationen anbieten, so verlangt sie wiederum, dass man nichts anderes von ihr erwartet. So verlangt sie von ihren Mitgliedern keine weitere Beteiligung als die monatliche Vollversammlung, bei der die wenigen selben Gewissheiten immer wieder abgeleiert, dieselben mutlosen Informationen aus denselben Betrieben mitgeteilt werden und die Diskussion über die allgemeine Gruppenlinie bis zur nächsten Sitzung verschoben wird. Falls Neuangekommene ihren Finger ins Räderwerk legen sollten, so hält die Maschine so lange, bis sie müde geworden sind. Dann kann man z.B. schreiben (vgl. Nr.66 vom Dezember 1967): “Früher oder später bleiben die Genossen, die andere Ziele verfolgen - es handelt sich dabei immer wieder um die Verbreitung einer Ideologie in dieser oder jener Form - aus diesem oder jenem Grund weg - d.h. sie kommen nicht mehr.” Man lasse sich durch diesen scheinheiligen Ton nicht täuschen! Wenn die ‘Genossen’ einmal deutlich sagen, dass sie die Diskussion innerhalb der Gruppe und auf der Basis der von ihr festgelegten Grundsätze führen wollen, nicht einmal, um sie zu verneinen, sondern um über sie hinauszugehen, den primitiven Ökonomismus zu überwinden und damit auch eine Kritik des alltäglichen Lebens zu entwerfen, weist ICO sie ab, weil ihr Text zu lang sei! Wenn dieselben ‘Genossen’ diesen dann selbst vervielfältigen, weigert sich ICO, ihnen die Abonnentenliste zu geben. Auf diese Weise sind fünf oder sechs damals uns bekannte Oppositionsmitglieder Anfang 1968 zurückgewiesen worden. Zwei Monate später sollte das Problem von anderen erneut aufgeworfen werden.
Dass gleichzeitig die Wütenden zu ihr gekommen sind, schien den ICO-Bossen aufschlussreich genug für die großangelegte Verschwörung, die darauf abzielen sollte, ihre ewige Herrschaft über die Gruppe zu untergraben. Vermutlich deswegen haben sie die ‘Bewegung des 22.März’ gegen die Wütenden ausgespielt, wobei sie gleichzeitig die Bewegung bagatellisierten, die im Entstehen begriffen war. Der cohn-benditsche Flügel, mit dem sie in Kontakt standen, war ihnen eine ausreichende Garantie für das formelle Nichtvorhandensein und den Mangel an einer kohärenten Theorie der ‘Bewegung des 22.März’, um ihr Vertrauen zu schenken: wenigstens diese Studenten würden sich nicht in die Angelegenheiten der bewussten ICO-Arbeiter einmischen.
Dieses Bewusstsein geht eigentlich nicht viel weiter als ihr Sinn fürs Lächerliche. Die erbärmlichen Analysen in ihrer Nummer vom Mai 68, die gerade in dem Augenblick erschienen, wo man ohne allzu gewagte Verallgemeinerung einen größeren Zusammenstoß voraussehen konnte, und die die Nutzlosigkeit und Unangemessenheit des begonnenen Kampfes beweisen wollten, sind wenigstens dadurch komisch, dass sie nicht sagen, wann diese scharfsinnigen Beobachter der geschichtlichen Konjunktur bemerkt haben, dass ‘etwas geschehen war’ (’Der generalisierte Streik in Frankreich, Mai/Juni 1968′, eine Broschüre von ICO und Noir et Rouge). Man kann sich vorstellen, dass es zu gleicher Zeit wie in der stalinistischen Partei geschah. Nichts spricht gegen diese Vermutung - nicht einmal der Gebrauch desselben Ausdrucks (’der generalisierte Streik’), um die Bewegung der Besetzungen zu kennzeichnen. ICO ist erst an dem Tag auf den vorbeifahrenden Zug aufgesprungen, an dem der alte Maulwurf unter der Kneipe zu graben begann, in der sie gewöhnlich zusammenkam, und den ruhigen Ablauf der monatlichen Sitzung durch den Lärm der platzenden Granaten der Polizei störte. Wie die sogenannte Kommunistische Partei betrachtet ICO die Bewegung der Besetzungen vor allem als eine Akkumulation von Lokalstreiks - mit dem einzigen Unterschied, dass ICO weiß und sagt, dass es wilde Streiks sind. So “war der Mai 68 von diesem Standpunkt aus (der Entwicklung zur Autonomie der Kämpfe) nur die brutale Ausdrucksform einer latenten Situation, die sich seit Jahren weiterentwickelte, in engem Zusammenhang mit der schnellen Modernisierung des französischen Kapitalismus”. Man muss die ungeheure Frechheit dieser Leute besitzen, um ohne zu lachen zu versuchen, die Bewegung der Besetzungen derart zu bagatellisieren, indem man andererseits in plötzlich lyrischem Ton zugibt, dass “die breiten Arbeitermassen den Kampf deshalb aufgenommen haben, weil sie von dem Willen getrieben wurden, etwas im Ausbeutungssystem zu verändern.” Sie könnten doch wissen, dass “die Verwirklichung einer neuen Welt, in die die Arbeiter auf totale Weise eingreifen, d.h. in der sie ihre Tätigkeit in der Arbeit und folglich in ihrem Leben total verwalten können”, zwangsläufig mit der Aufklärung des Geheimnisses einhergeht, das ICO dazu führt, diese Wirklichkeiten als getrennt zu präsentieren.
Wen wollen diese enttäuschten Anhänger des Generalstreiks eigentlich täuschen, wenn sie schwerfällig erklären, indem sie die Klassenkämpfe in Frankreich im März 1969 analysieren (vgl. ‘Die Organisationen und die Arbeiterbewegung’), dass, da ja die wilden Streiks vor dem Mai kategorienhafte Forderungen geltend machten und da in denjenigen, die nach dem Mai ausgebrochen sind, “…die Arbeiter eines begrenzten Sektors im Betrieb sich nicht mehr darauf beschränken, was ihnen allein auf dem Gebiet ihrer besonderen Arbeitsbedingungen (Löhne oder sonstiges) aufgezwungen wird, man hier also das Hauptmerkmal der wilden Streiks in Holland, England, in den USA usw. wiederfinden kann.(…) Einige Leute werden diese Streiks als den Anfang generalisierter oder veränderter Kämpfe bzw. einer radikalen Veränderung der Arbeiterbewegung betrachten wollen. Wenn der Mai auch vieles an den Tag gebracht hat und damit zugleich die Entwicklung beschleunigte, so hat er doch den Kontext der Kämpfe nicht radikal verändert.” Unfähig zur Einsicht, dass eine Gewerkschaft einen wilden Streik nur deshalb unterstützt, um ihn besser hintergehen zu können, dass sie es aber noch bei weitem vorzieht, ihn in den Windungen eines legalen Streiks verlorengehen zu lassen, zeigen sich die ICO-Realisten noch dümmer als die Schwachköpfe von ‘Lutte Ouvrière’ - “Durch die Unnachgiebigkeit der Unternehmer und der Regierung sind sie (d.h.: die Gewerkschaften) dazu gezwungen worden, die Zentraldemonstration vom 11.März zu organisieren” - indem sie behaupten, der Streik vom 11.März 1969 “sei ein Teil dieser politischen Ausnutzung der Arbeiterbewegung.” Sicherlich können uns die ICO-’Arbeiter’ deshalb, weil sie sich um kein anderes Amt bewerben als um dieses, das sie schon als fast anerkannte Spezialisten des Anti-Syndikalismus ausüben, eine schöne Zukunft voraussagen und zwar “die Eroberung einer großen Anzahl von Sitzen als Gemeinderäte und dergleichen”. Als Arbeiter vergessen sie ein wenig zu leicht, was die revolutionäre Bewegung aus Verleumdern macht.
ICO’s Hass gegen alles, was nach Theorie aussieht, rührt nicht aus einem Misstrauen gegenüber ihren militanten Studenten bzw. intellektuellen Freunden, das berechtigt sein könnte. ICO’s objektive Führer, deren Vervielfältigungsmaschineninhaber haben sich durch das viele Kurbeln in Intellektuelle verwandelt. Heute wünschen sie, dass wirkliche Intellektuelle sie bei dieser mühseligen Arbeit ablösen, damit sie sich voll mit der Zeitschrift beschäftigen können, die, wie sie wohl wissen, nichts anderes als eine illusorische Existenz zu verlieren hat. Die Studenten werden bei ihrem Appell nicht ausbleiben, die Revolutionäre aber werden wissen, dass man ICO lesen kann, um darin die antisyndikalistische Ideologie in der Zeit der Grüppchen zu finden.