Der Aufstand der Schwarzen in Newark und Detroit scheint uns die Analyse auch für skeptische Geister bestätigt zu haben, die wir 1965 über die Revolte im Watts-Viertel gemacht hatten. Besonders die Beteiligung zahlreicher Weißer an der Plünderung beweist, dass die Watts-Affäre in ihrem tiefsten Sinn tatsächlich “eine Revolte gegen die Ware” und die erste, dürftige Antwort auf ‘den Warenüberfluss’ gewesen ist. Dagegen hat sich die Gefahr einer Führung, die sich für die Bewegung zu bilden versucht, präzisiert: die Newark-Konferenz hat das Wesentliche im Programm der ‘Black Muslims’ für einen schwarzen Kapitalismus wiederaufgenommen. Carmichael und die sonstigen Stars der ‘black power’ schwanken wie Seiltänzer zwischen dem unbestimmten Extremismus, der notwendig ist, um sich vor die schwarzen Massen zu stellen (Mao, Castro, die Schwarzen an die Macht und dabei brauchen wir nicht einmal zu sagen, was wir aus den 9/10 Weißen der Bevölkerung machen) und dem erbärmlichen, uneingestandenen wirklichen Reformismus einer schwarzen ‘dritten Partei’, die sich als Hilfskraft auf dem amerikanischen Markt verkaufen und endlich mit Carmichael und Konsorten diese ‘Elite’ hervorbringen würde, die aus den polnischen, italienischen usw. Minderheiten entstanden sind, die den Schwarzen aber gerade gefehlt hat.
In Algerien hat Boumedienne leider auch die Richtigkeit unserer Thesen über sein Regime bewiesen. Die Selbstverwaltung ist tot. Wir zweifeln nicht daran, dass wir sie eines Tages wiedersehen - in einem wahren Licht. Im Augenblick aber konnte keine revolutionäre Untergrundorganisation gebildet werden, die sich auf den offensiven Widerstand der selbstverwalteten Basis gegründet hätte und unsere unmittelbaren Bemühungen um diese Aufgabe sind übermäßig ungenügend gewesen.
Die Fortsetzung unserer Notiz über die Politik der verschiedenen Mächte im Jahre 1965 (’Eine Anthologie der Fehlleistungen’) würde eine ganze Sonderausgabe dieser Zeitschrift erfordern. Wir wollen uns hier darauf beschränken, auf den schönsten Umstand hinzuweisen - und zwar die Entdeckung der gefährlichen Macht der Geheimpolizei sogar über die höhere Tito-Bürokratie in diesem Jugoslawien, das die gesamte bürgerliche Presse unbedingt als das Land der Selbstverwaltung darstellen will. Daher der schmerzvolle Schrei der Bestürzung in der biederen ‘Le Monde’: die Polizei war also “ein Staat im absterbenden Staate!” Hier sieht es so aus, als ob die ‘Le Monde’ -Anarchisten Mac Nab parodiert hätten: “Sind wir denn mit diesen verfluchten Staaten nie fertig?”
Daniel Guérin hat uns schriftlich mitgeteilt, er finde die Notiz über ihn ungerecht und wolle sich mit uns darüber aussprechen. Wir sind mit ihm zusammengekommen. Er musste zugeben, dass wir über seine Thesen über Algerien korrekt berichtet haben, die den unsrigen völlig entgegengesetzt sind. Er beklagte sich nur darüber, dass er wie eine Art Agent von Ben Bella dargestellt worden sei. Wir behaupten dagegen, dass so etwas keineswegs in unserer Notiz enthalten ist. Guérin sagte weiter, seine Bewunderung für Ben Bella ließe sich aus psychologischen Gründen erklären, deren subjektive Wahrheit wir nicht bezweifeln: er habe Ben Bella sehr sympathisch gefunden, vor allem nach 30 Jahren Enttäuschungen mit seinen nord-afrikanischen Freunden, die aus anti-kolonialistischen Militanten im allgemeinen zu Ministern geworden sind. Ben Bella sei ein Mann aus dem Volke geblieben, das sei seine gute Seite; dass er zum Präsidenten der algerischen Republik geworden sei, sei seine schlechte Seite. Guérin meinte, dass Ben Bellas Algerien schon ein ‘Wunder’ sei und wirft uns vor, eine zusätzliche Wunderserie zu verlangen. Wir antworteten, das sei eben unsere Auffassung der Revolution; ein einziges ‘Wunder’, das dabei bleibt, wird selbst schnell verschwinden. Wir haben Daniel Guérin vorgeschlagen, seine Antwort zu veröffentlichen, er schätzte aber, die mündliche Erklärung würde genügen.
Daniel Joubert, dessen zweifelhaften Versuch wir denunziert hatten (S.71), subversive Ideen in eine Zeitschrift protestantischer Studenten einzuschmuggeln, hat kurz danach öffentlich jeder Beziehung zum Christentum und zum Leichnam Gottes abgeschworen. Diese heftige Denunzierung seiner früheren Praxis hat er in derselben Zeitschrift (’Le Semeur’ Nr.3, 1966, S.88-89) als Rücktrittserklärung veröffentlicht. Dann bat er darum, mit Situationisten zusammenzukommen. Nach einer Diskussion in der S.I., haben wir einstimmig beschlossen, dass der öffentliche Bruch mit einer solchen Position - die als solche jeden Dialog unmöglich mochte - es erlaube, diesen Dialog zu akzeptieren, wenn auch mit ausdrücklichem Bedenken. Anders gesagt - wir können unmöglich weiterhin den endgültigen und zeitlos schändlichen Charakter irgendeiner ‘Erbsünde’ behaupten, falls ein Individuum sich wirklich verändert hat. Diese Banalität muss nur deshalb ausgesprochen werden, weil die Garnault-Anhänger, die nicht nur dieses Prinzip verteidigt, sondern alsbald mit Joubert verkehrt und ihn sogar bei uns angepriesen hatten, ihn nach ihrem Ausschluss einen Pfaffen geschimpft und der S.I. vorgeworfen haben, “in ihrem negativen Urteil über die Personen” ihre Meinung ändern zu können (dieses Zitat aus ‘S.I.’ Nr.9 bedeutet selbstverständlich, dass wir unser negatives Urteil über Personen nicht ändern, die sich selbst nicht verändert haben). Dieser letzten Inkonsequenz der Garnault-Anhänger liegt die Tatsache zugrunde, dass Joubert sich während des ganzen Strassburger Skandals korrekt verhalten hat - d.h. also ihnen entgegengetreten ist.
Yvon Bourdet hat uns folgenden, am 22.April 1966 geschriebenen Brief geschickt:
“Mir sind einige lustige Zeilen aus der Nummer eurer ‘Provinssituationit’ - genug mit der Titelinflation! - über mich zu lesen gegeben worden und ich beeile mich, euch diesen Brief zu schicken, damit weiter gelacht wird. Dass die Erinnerung an einige von den Historikern festgestellten Tatsachen so sehr euer von Mythen angefressenes Gedächtnis stört - das ist ein Erfolg, über den man sich nur freuen kann. Für Marxisten genügen 100 Jahre, um die Ereignisse mit dem heiligen Nimbus der verlorenen Paradiese zu versehen. Anstatt euch lustig mit dem Schreiben auszutoben, lest doch lieber ein wenig in der Geschichte von Bakunins Ausschluss. Was gehen euch die Tatsachen schon an? Es genügt, euren geistlichen Stil zu lesen: ‘er wagt zu schließen…’ Ja wohl - eben und Scheiße! Was eure ’situationit’ über mich als einen ehemaligen ‘Arguments’-Mitarbeiter schreibt, ist reiner Unsinn! Zweimal habe ich in ‘Arguments’ geschrieben: einmal, um deren Thesen zu kritisieren und ein anderes Mal, um die Thesen Max Adlers über das Verhältnis zwischen Partei und Klasse bekanntzumachen. In meinem Büchlein über ‘Kommunismus und Marxismus’ beschäftige ich mich 40 Seiten lang damit, ‘Arguments’ zu kritisieren usw… O.k. Ob ich ein ‘Arguments’-Anhänger bin oder nicht, das ist jedem vollkommen egal. Ich möchte vor allem betonen, dass ihr irgendetwas schreibt. Nun gut! Das wusste man schon seit langem. Also sagen wir, dass ich meine Zeit vergeudet habe. Tschüss!”
Darauf antwortete Debord: “Nachdem Sie durch die ‘I.C.O.’ (Information-Correspondance- Ouvrière) auf die bekannte Weise einen Nasenstüber bekommen haben wegen Ihrer Art, auf den Artikel über die Rätebewegung in Deutschland zu reagieren, kann es einen tatsächlich wundern, dass ein Historiker mit ihrem Ruf es noch wagt, außer den Notwendigkeiten seiner Arbeit als Lohnempfänger an irgendjemanden über irgendetwas zu schreiben. Ihre Informationen über Bakunin müssen seltsam ausgewählt sein, da Sie in den ‘100 internationalen Brüdern’ nicht einen dieser Ihnen so nützlichen ‘Apparate’ wiedererkennen. Was den ‘Argumentismus’ betrifft, nützen Ihre Entschuldigungen nichts. Niemand hat je den ‘Argumentismus’ für eine sehr genaue ‘Denkart des Fragestellens’ gehalten. Er war gerade durch seine Fähigkeit zu charakterisieren, irgendetwas Platz einzuräumen. Sogar Ihnen.”