Wer sagt, dass der Urbanismus polizeilich ist, und dass in der Zeit des konzentrierten Kapitalismus der Polizist gern zum Urbanisten wird, tut weiter nichts, als an eine offensichtliche Tatsache zu erinnern. Der wichtige Bereich des Freizeitkonsums steht in enger und nicht so oft beleuchteter Beziehung zu diesen beiden Spezialgebieten. 1965 hat die Polizei in Frankreich ‘28 Freizeitzentren’ für die Jugend während der Sommerferien eröffnet, die sonst durch die Langeweile zur Kriminalität hätte kommen können; “14 davon werden von der CRS und 14 von der jeweiligen Stadtpolizei kontrolliert und sie haben insgesamt mehr als 5.000 Jugendliche vereinnahmt, was anscheinend nur der Anfang ist” (’ Le Monde’, 2.9.65). Der Verfasser dieses Artikels fügt hinzu, dass die CRS von nun an “ihre Rolle als eine Kraft zur Aufrechterhaltung der Ordnung bagatellisieren will… Die Bildung der Freizeitzentren für die Jugend war diesen Sommer so etwas wie eine Public-relation-Operation, eine Art Entmystifizierung des herkömmlichen Bildes des Polizisten.” Man darf es nicht versäumen, nebenbei die vollständige, durch seine lange soziologische Modezeit vorbereitete Umkehrung des Wortes ‘Entmystifizierung’ zu bewundern. Von nun an ist also die Mystifizierung das gekünstelte, barocke, utopische, unverständliche - um alles zu sagen: situationistische - Bild eines Polizisten, der als Mitglied von Kräften zur Aufrechterhaltung der Ordnung tätig sein könnte. Einem entmystifizierten Bewusstsein wird ein Polizist als das erscheinen, was er im wesentlichen ist: ein Spaßmacher, ein Psychologe und ein Humanist. Ebenso “sollte man in den Polizeirevieren Empfangsdamen einstellen, um die Leute zu empfangen und ihnen Auskunft zu geben. Dieser revolutionäre Vorschlag wurde gestern von den Polizisten selbst gemacht, anlässlich einer Pressekonferenz des ‘Intersyndikalkomitees der Polizei und der Nationalen Sicherheit’ … Denn das Intersyndikalkomitee möchte die Beziehungen zwischen Polizei und Öffentlichkeit menschlicher machen …”(’France-Soir’, 12.6.65). Und in ‘Liaisons’, dem Informationsbulletin der Polizeipräfektur, wird im Editorial der Nummer 97 (6.9.65) darauf hingewiesen, dass “die Polizei sich seit frühesten Zeiten mit der Stadt identifiziert hat”, und daher wird ihre umfangreiche Aufgabe dann wie folgt beschrieben: “Außer unter bestimmten außerordentlichen Umständen, in denen das Zusammenhalten der Nation zu einer instinktiven Antwort auf ein als widrig erscheinendes Schicksal wird, erweist sich die Kommunikation zwischen den verschiedenen Gruppen der Gesellschaft als schwierig. Jede Gruppe neigt dazu, sich in sich selbst abzuschließen, sich so sehr gemäß den eigenen Sorgen, Bestrebungen und Sprache zu verhalten, dass es manchmal passieren kann, dass dasselbe Wort für jeden Bewohner einen besonderen Sinn hat. Der Einzelne öffnet sich denen nicht immer spontan, die nicht unmittelbar an seinen Sorgen teilhaben und er neigt manchmal dazu, sich mit denen zu identifizieren, die diese Sorgen mitempfinden, woraus ein buntscheckiges System einer teilweisen, weil auf eines der Elemente des Ich beschränkten, Solidarität entsteht. Von da an wird der Kontakt im philosophischen Sinne sehr schwierig und das, was ein Dialog sein sollte, ist oft nur das Nebeneinander zweier Monologe. Die Polizei sollte diese teilweise Solidarität berücksichtigen…” Diese Suche nach einer polizeilichen Transparenz, einer Sprache des kybernetischen Geständnisses und einer spontanen, über alle wirklichen, sozialen Trennungen stehenden Solidarität kann ihre Schlussfolgerungen nach einer höchst konkreten Perspektive richten: “Zivilisation heißt sicherlich materielle Planung, aber auch moralische Begriffe, Sicherheit und Ordnung. Man kann also nicht die Entwicklung des Urbanismus betrachten, ohne gleichzeitig die Mittel zu berücksichtigen, die der Polizei zur Verfügung gestellt werden müssen, damit sie einer schwerer gewordenen Verantwortung nachkommen kann. Sagen wir es noch einmal: man kann sich mit dem schon Vorhandenen nicht zufriedengeben, man muss das ins Auge fassen, was sein wird - und diese Zukunft ist schon bekannt”.
In dieser schon bekannten Zukunft, die also bloß die räumliche Erweiterung der bestehenden Ordnung ist, verfügen also die Superpolizisten über die ihrer schwerer gewordenen Verantwortung angemessenen Mittel. Laut ihrer AFP-Depesche aus New York (1.12.65) “wurde gestern in New York eine besondere Fernsehkamera vorgestellt. Sie kann dank einem Heliumlaser, der einen ultraroten Strahl projiziert, auch in vollständiger Dunkelheit filmen. Dieser Apparat kann von der Polizei zu Überwachungsoperationen und zu wissenschaftlichen Zwecken gebraucht werden.” Wenn die wissenschaftliche Entwicklung aber ihre erste Anwendung bei der Polizei findet, weitet sich die Rolle der Polizei von einer rein unterdrückenden bis zu der der vorbeugenden Integrierung immer mehr aus. Hier ist das Spezialkorps der soziologischen Sicherheit kampfbereit. Wie kann man die atomisierte und fernsehbesessene Menge in den Trabantensiedlungen des neuen Urbanismus zu diesem ‘Kontakt im philosophischen Sinne’ führen, von dem die Polizei sich die schwierige Ausrottung jedes ‘besonderen Sinns’ verspricht? Das ist die Rolle der Kultur, dieser neuen Richtware in der Zeit des Freizeitkonsums. Der französische Staat übernimmt dieses Produkt in Selbstverwaltung und das Kaufhaus, in dem es zur Schau getragen wird, wird ‘Haus der Kultur’ genannt, gerade die Epoche, die die größte kulturelle Leere geschaffen hat, muss das Museum ins alltägliche Leben einführen, um darin dieselbe Leere tautologisch auszuschmücken. Im Juni 1965 wurde ein ‘Kolloquium von Trabantensiedlungssozialarbeitern’, wie es sich gehört, in Sarcelles abgehalten. Das ‘Journal Officiel’ vom 30. November hat den Erlass veröffentlicht, der ‘Kunstberater und Delegierte der künstlerischen Schöpfung’ einsetzt, die in so vielen ‘regionalen Handlungsbezirken’ verteilt werden kann.
Durch das Spektakel wird nur die allgemeine Entwertung zur Schau gestellt: das Gold der alten Kritik wird rekuperiert, in Blei verwandelt und jeder mögliche Wert ist im Weltall des Spektakels unsichtbar. Seine ‘Sozialarbeiter’ sind so komisch, dass wir uns flohgelaunt von der alten Kulturwelt trennen können, einer bloßen Fassade für die Manipulatoren einer Licht- und Tonshow, ‘die die ganze gesellschaftliche Oberfläche mit derselben gekünstelten Armut beleuchtet. In Bourges, einer Stadt, die wegen ihres ersten vielversprechenden Experimentalergebnisses - “63.000 Einwohner - 63.000 Zuschauer in 8 Monaten”(!) nach der Schlagzeile von ‘France-Soir’ vom 15.11.64 - von der Presse ‘die Hauptstadt der kulturellen Freizeit’ genannt wird, erklärte de Gaulle bei seinem Besuch am 15.Mai 1965: Die Kultur ist in unserer modernen Welt nicht nur ein Zufluchtsort und ein Trost mitten in einer hauptsächlich mechanischen, materialistischen und übereiligen Zeit. Sie ist auch die Bedingung unserer Zivilisation. Da sie immer vom Geist beherrscht wird, wie modern sie auch sein mag und wie moderner sie auch werden wird…”
“Oft scheint der Geist sich vergessen, sich verloren zu haben; aber innerlich sich entgegengesetzt, ist er innerliches Fortarbeiten - wie Hamlet vom Geiste seines Vaters sagt: ‘Brav gearbeitet, wackrer Maulwurf!’ - bis er, in sich erstarkt, jetzt die Erdrinde, die ihn von der Sonne, seinem Begriffe, schied, abstößt, dass sie zusammenfällt.” (Hegel).