Die Zweckentfremdung - d.h. die Wiederverwendung bereits bestehender Kunstelemente innerhalb einer neuen Einheit - ist eine permanente Tendenz der jetzigen Avantgarde, sei es vor oder seit der Gründung der S.l. Die beiden grundlegenden Gesetze der Zweckentfremdung sind der Verlust der Wichtigkeit - der bis zum Verlust des ursprünglichen Sinns gehen kann - von jedem zweckentfremdeten autonomen Element und zu gleicher Zeit die Organisation einer neuen bedeutungsvollen Gesamtheit, die jedem einzelnen Element seine neue Bedeutung verleiht.
Die Zweckentfremdung enthält eine spezifische Kraft, die natürlich von der Bereicherung der meisten Elemente durch die Koexistenz der beiden Sinninhalte - des ehemaligen und des unmittelbaren - herrührt: durch ihren doppelten Boden. Ihre praktische Nützlichkeit verdankt sie der Leichtigkeit ihrer Verwendung und den unerschöpflichen Möglichkeiten ihrer Wiederverwendung; über die durch die Zweckentfremdung ermöglichte geringste Anstrengung sagten wir bereits folgendes (Gebrauchsanweisung für die Zweckentfremdung Mai 1956): “Ihre billigen Erzeugnisse bilden das schwere Geschütz, mit dem in alle Chinesischen Mauern der Intelligenz eine Bresche geschossen werden kann”. Diese Punkte an sich rechtfertigen jedoch nicht den Rückgriff auf ein Verfahren, das wie es im eben zitierten Satz weiter heißt - “schonungslos gegen alle gesellschaftlichen und rechtlichen Konventionen verstößt”. Es gibt einen historischen Sinn der Zweckentfremdung. Welcher ist das?
“Die Zweckentfremdung ist ein Spiel, das man der Fähigkeit der ENTWERTUNG verdankt”, schreibt Asger Jorn in seiner Abhandlung über die “Zweckentfremdete Malerei” (Mai 1959) und er fügt hinzu, dass alle Elemente der kulturellen Vergangenheit entweder “reinvestiert” werden oder verschwinden müssen. So gibt sich die Zweckentfremdung zunächst als Negation des Wertes der vorherigen Ausdrucksorganisation zu erkennen. Sie entsteht und verstärkt sich immer mehr während der historischen Periode des Verfalls des künstlerischen Ausdrucks. Gleichzeitig drücken aber die Versuche, den “zweckentfremdbaren Block” als Material für eine andere Gesamtheit wiederzuverwenden, die Suche nach einer umfangreicheren Konstruktion aus - auf einer höheren Ebene der Beziehungen und als eine neue geldliche Schöpfungseinheit.
Die S.I. ist eine sehr eigentümliche Bewegung, die anders als die vorigen Kunstavantgarden geartet ist. Auf dem Gebiet der Kultur kann sie z.B. mit einem Forschungslaboratorium verglichen werden - und sogar mit einer Partei, in der wir Situationisten sind und all das, was wir machen, nicht situationistisch ist. Das soll keiner für eine Missbilligung halten: wir sind die Anhänger einer bestimmten Zukunft für die Kultur und für das Leben. Die situationistische Aktivität ist ein genau bestimmter Beruf, den wir nur noch nicht ausüben.
Somit ist der Gebrauch der Zweckentfremdung der Stempel der Bewegung, die Spur ihrer Anwesenheit und ihrer Kritik in der heutigen kulturellen Wirklichkeit, da wir auf keinen Fall irgendeinen gemeinsamen Stil vertreten können. Erwähnen wir z.B. auf dem Gebiet des zweckentfremdeten Ausdrucks Jorns modifizierte Bilder; Debords und Jorns “ganz aus vorgefertigten Elementen zusammengesetztes” Buch ‘Memoiren’ (in dem jede Seite nach allen Richtungen hin gelesen werden kann und in dem die Wechselbeziehungen der Sätze immer unvollendet bleiben); Constants Projekte zweckentfremdeter Skulpturen und beim Film Debords zweckentfremdeten Kurzfilm ‘Über den Durchgang einiger Personen durch eine kürzere Zeiteinheit’.
Auf der Ebene dessen, was die ‘Gebrauchsanweisung für die Zweckentfremdung’ die “Ultra-Zweckentfremdung” genannt hat, “d.h. deren Tendenz, im gesellschaftlichen und alltäglichen Leben angewandt zu werden” (wie z.B. bei den zum Spielbereich gehörenden Kennwörtern bzw. der Verkleidung) sollte man hier - auf verschiedenen Stufen - von Gallizios industrieller Malerei sprechen, von Wyckaerts ‘Orchester’-Projekt für eine Fließbandmalerei mit Arbeitsteilung auf Farbengrundlage, von den vielfältigen Zweckentfremdungen von Bauwerken, in denen der unitäre Urbanismus seinen Ursprung nehmen wird. Hier wäre auch der Ort, die Formen der S.I.-’Organisation’ und ihrer Propaganda selbst zu erwähnen.
Beim gegenwärtigen Stand der weltweiten Entwicklung fangen alle Ausdrucksformen an, auf Leerlauf zu schalten und sich selbst zu parodieren. Wie die Leser dieser Zeitschrift des öfteren feststellen können, hat das Schreiben heute immer wieder etwas Parodistisches an sich. “Man muss”, kündigt schon die ‘Gebrauchsanweisung’ an, “eine parodistisch-ernste Stufe erreichen, bei der die Anhäufung zweckentfremdeter Elemente dafür sorgen wird, eine gewisse Erhabenheit zu schaffen, indem sie, weit davon entfernt, Empörung oder Lachen in Bezug auf den Begriff eines ursprünglichen Werkes hervorrufen zu wollen, im Gegenteil unsere Gleichgültigkeit gegenüber einem sinnentleerten und vergessenen Original zeigen wird.”
Durch das Parodistisch-Ernste werden die Widersprüche einer Epoche überdeckt, in der sich uns die Verpflichtung und zugleich die Quasi-Unmöglichkeit, sich einer total bahnbrechenden kollektiven Aktion anzuschließen und sie weiterzuführen, mit derselben Dringlichkeit darbieten. In der der bitterste Ernst im Doppelspiel der Kunst und deren Negation versteckt auftritt; in der die Hauptentdeckungsreisen von so rührend unfähigen Leuten unternommen worden sind.