Im Februar 1963 hat die S.I. ein Dokument mit dem Titel ‘In die Mülleimer der Geschichte’ über das Ende der Zeitschrift ‘Arguments’ veröffentlicht. In diesem Dokument ist der situationistische Text ‘Über die Kommune’ sowie dessen verwässerte Kopie zu lesen, die Henri Lefebvre heimtückisch in der letzten Nummer von ‘Arguments’ unter seinem Namen veröffentlicht hatte, womit er diesen Faschingszug der Fälschung des modernen Gedankens, dessen reinster Ausdruck in Frankreich ‘Arguments’ gewesen ist, hervorragend mit seinem Namenszug versah.
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Es folgt hier die Liste der Mitarbeiter von ‘Arguments’: J.M. Albertini, K. Axelos, Roland Barthes, Abel Benssi, Jaques Berque, Y. Bourdet, P. Broué, T. Caplow, B. Cazes, F. Chatelet, J. Choay, Choh-Ming-Li, M. Colinet, L. Coser, M. Crozier, M. Deguy, G. Deuleuze, R. Denis, A. Détraz, Manuel de Diégez, J. Duvignaud, C. Faucheux, F. Fejtö, Léopold Flam, J.C. Filloux, P. Fougeyrollas, J. Fourastié, A. Frankin, E. Francois, G. Friedmann, J. Gabel, P. Gaudibert, D. Guérin, R. Guiducci, L. de Heusch, R. Jakobson, K.A. Jelenski, B. de Jouvenel, G. Lapassade, H. Lefebvre, O. Loras, St. Lupasco, T. Mende, Meng Yu-Ku, R. Misrahi, A. Moles, J. Monbart, E. Morin, V. Morin, S. Moscovici, R. Munier, P. Naville, M. Pagès, R. Pagès, R. Paris, F. Perroux, A. Philip, A. Pidival, A. Pizzorno, D. Rousset, M. Rubel, O. Schiller, W. Schulz, H.F. Schurmann, M. Sheppard, J. Starobinski, A. Stawar, J. Tinbergen, J. Touchard, A. Touraine, B. Ullmann, A. Valdor.
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Die situationistischen Thesen über die Kommune sind ins Italienische übersetzt und in der Nr.9 (Frühjahr 1963) der Zeitschrift ‘Nuova Presenza’ der Kopie durch Lefebvre gegenübergestellt worden. Da die beiden Herausgeber dieser Zeitschrift in zwei Artikeln ziemlich unterschiedliche Meinungen ausgedrückt haben, muss man anmerken, dass beide angeblich glauben, das Wesentliche der Theorie der S.I. und ihrer Anwesenheit in unserer Zeit ließe sich auf eine Interpretation der Kommune von 1871 beschränken; desweiteren und vor allem, dass keiner von beiden darauf hinweist, dass die Veröffentlichung dieser Thesen nur ein einzelnes Fragment ist innerhalb eines Dokuments über den praktischen Kampf der S.I. gegen die spektakuläre Verkleidung, die zur Zeit die wirklich subversiven Fragen verdeckt (in diesem Fall unser Boykott gegen ‘Arguments’ und der Beweis seines vollständigen Misserfolgs). Dadurch können sie leicht von ‘praktischer Schwäche’ und von einem ‘Mangel an historischer Perspektive’ reden. Aber das ist gerade die Frage.
“Stellen wir hiermit fest, dass die ‘Situationistische Internationale’ das Organ einer Gruppe junger Leute ist, die eine Position der radikalen Kritik der ‘Gesellschaft des Spektakels’ eingenommen haben, d.h. der modernen, technologischen und technokratischen Organisation, die danach strebt, die Äußerungen der menschlichen Kreativität zu den Zwecken der Konsumindustrie zu manipulieren… (Sie ist die) Fortsetzung einer theoretischen Bewegung, die in der ersten romantischen Schule verwurzelt ist und sich über Rimbaud, die Surrealisten, Bataille und Kossowski fortsetzt. Über ihre praktische Schwäche hinaus - da diese Bewegung wegen ihres Mangels an historischer Perspektive dazu verurteilt ist, durch den Herrschafts- und Frustrationsapparat der modernen Bürokratien überwältigt zu werden - drückt sie die Verweigerung der jüngeren Generationen aus, die einer auf Mystifizierung und Lüge beruhenden Gesellschaft gegenübergestellt werden.”
“Einige Zeilen sind anscheinend nicht genug, um die von Lefebvre vorgebrachte Interpretation der Pariser Kommune zu prüfen, vor allem, wenn sie sich ausschließlich mit einem Vergleich mit den Thesen der S.I. beschäftigen, aus denen sich diese auf kritische Weise ableiten. Wir wollen hier nur die Gelegenheit benutzen, die letztgenannten Thesen, sowie ihre kritische Überprüfung durch Lefebvre, zu betrachten, wobei das Urteil über die ersteren sowohl als auch über die letzte unserer Meinung nach nur entschieden negativ sein kann. Der komplizierten, in der Sowjetunion und der französischen kommunistischen Elite noch nicht überwundenen historischen Erscheinung des Stalinismus wird eine mystische historische Form entgegengesetzt: in einer solchen mystischen Form der ‘Diktatur des Proletariats’ will man die Selbständigkeit der proletarischen Kräfte und deren direkte und indirekte Beteiligung an der Macht wiederfinden, an der es dem in seiner unbeweglichen Bürokratie und seinem Anti-Humanismus festgelegten Stalinismus fehlt. Eine solche Beteiligung findet sich aber von ihrer historischen und strukturellen Problematik vollkommen getrennt, und wird zu einem irrationalen und konfusen Verlangen ohne wirklichen ideologischen Ausdruck. Die Autonomie der proletarischen Kräfte, das prinzipielle und historische Problem ihrer Beteiligung an der Macht werden auf den anregenden und transzendenten Mythos eines ‘alltäglichen Spiels mit der Macht’, einer Volks’fete’ und der Autonomie bewaffneter Volksgruppen reduziert. Und man zögert nicht damit, bei diesem utopischen Schwung Formeln zusammenzubringen, die geradezu mittelmäßig und quasi abergläubisch zu sein scheinen: so z.B. die vermeintliche Originalität eines ‘revolutionären Urbanismus’, der “nicht glaubt, dass ein Denkmal unschuldig sein kann”, die anti-humanistische Verherrlichung derer, die, indem sie Notre Dame von Paris zerstören wollten, “durch diese Zerstörung eine Gesellschaft total herausforderten”, oder letztlich das nicht weniger anti-humanistische Bedauern, was die “nur flüchtig entworfenen” und als solche als “Greueltaten” betrachteten Handlungen betrifft. Dieses ganze Irrationalitätsknäuel, das seine natürliche Grundlage in einer entfernten und nicht historisch erlebten Erfahrung hat, bleibt wesentlich in das integriert, was Lefebvre noch einmal überdacht hat, wobei ihm nur gelungen ist, einige der abstraktesten Formeln auszuschalten… Ein Protest, der die heutige historische Wirklichkeit nicht berührt und es nicht will… Der Stalinismus… ist für sich selbst eine irrationale Mystifizierung, eine Projektion des abstrakten Verlangens auf die proletarischen Kräfte, das durch seinen Schematismus dem ähnlich ist, was man in den Kommune-Thesen der S.I. finden kann. Es ist an der Zeit, dass die Kommunisten sich das Problem der Überwindung des Stalinismus stellen durch eine Rationalisierung des politischen und ideologischen Lebens und durch institutionalisierte Formen, die für die Dialektik zwischen den Kräften der Arbeiterklasse und denen sorgen, die die Führung der sozialen Revolution übernehmen”. (Marcello Gentili, ‘Zwei irrationale Proteste gegen den Stalinismus’)
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Nachdem einige Überbleibsel einer stalinistischen Tendenz des Surrealismus Situationisten in Antwerpen unter dem Vorwand eines völlig erträumten Antifaschismus bedrängt hatten, ist ihr Hinauswurf in einem holländisch und französisch verfassten Flugblatt vom 27. Februar 1963 kommentiert worden: “Kein Dialog mit Verdächtigen! Kein Dialog mit Arschlöchern!”
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Die erste Nummer der deutschsprachigen S.I.-Zeitschrift ‘Der deutsche Gedanke’ ist im April 1963 unter der Leitung von Raoul Vaneigem herausgegeben worden. Unter Berücksichtigung verschiedener praktischer Bedingungen lautet jetzt die Adresse: BP 155, Brüssel 31.
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Im Juni 1963 hat die S.I. unter Leitung von J.V.Martin die Manifestation ‘Zerstörung von RSG 6′ in Dänemark organisiert. Bei dieser Gelegenheit haben die Situationisten eine neue illegale Ausgabe des englischen Flugblatts ‘Danger! Official Secret - R.S.G. 6′ - mit der Unterschrift ‘Spies for Peace’ verbreitet, das Plan und Funktion des ‘Regionalen Regierungsbunkers Nr.6′ enthüllt. Auch ein theoretischer Text - ‘Die Situationisten und die neuen Aktionsformen in Politik und Kunst’ - ist auf dänisch, englisch und französisch veröffentlicht worden. Die - empörende - Grundlage der Szenerie dieser Demonstration bildeten in einer ersten Zone die Rekonstruktion eines Atombunkers und in einer zweiten hauptsächlich Martins thermonukleare Kartographien, eine Zweckentfremdung der pop-art, die eine Darstellung der verschiedenen Regionen der Erdkugel während des III.Weltkrieges entwarfen. “Die situationistische Bewegung zeigt eine Ausstellung - wenn man es so nennen will - einer Idee. Mit chaotischen Produktionen aus Gips, Haar und mit Farbe oder Parolen bespritzten Bleisoldaten als Grundmaterial demonstriert sie für die Zerstörung des Schutzbunkers der englischen Regierung RSG 6, der für den Fall eines Atomkrieges zur Verteidigung gebaut wurde. Selbstverständlich protestieren sie praktisch gegen den Krieg selbst und gegen den totalitären Staat: sie werden es wahrscheinlich für ein Kompliment halten, wenn man sagt, sie haben es nicht mit künstlerischen Mitteln getan. Wie dem auch sei, ich glaube nicht, dass das ein Kompliment sein kann.” P. Lübecker, in ‘Politiken’ vom 3.Juli 1963.
Ein intelligenter Bericht wurde von Else Steen Hansen in der Nr. 5/6 der schwedischen Zeitschrift ‘Konstrevy’ (Dezember 1963) unter dem Titel ‘Homo ludens’ veröffentlicht.
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Der Situationist Rudi Renson ist an der dänischen Grenze willkürlich abgeschoben worden, als er zu dieser Manifestation fahren wollte. Dieser mehrere Tage lang in der Presse des ganzen Landes erörterte Skandal hat die Grenzpolizei dazu veranlasst, nacheinander zu behaupten, Rudi Renson habe keinen Pass; nicht genug Geld; er sehe verdächtig aus. Während man über diesen letzten Punkt selbstverständlich streiten kann, ist es bewiesen, dass die beiden anderen falsch sind (aber die situationistischen Publikationen werden seitdem an dieser Grenze weiterhin beschlagnahmt). Renson bereitet zur Zeit eine gesammelte Ausgabe der situationistischen Texte über ‘Architektur und Zweckentfremdung’ vor.
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T. Kurokawa und Toru Tagaki, die im Frühjahr 1963 von der japanischen Bewegung ‘Zengakuren’ nach Europa delegiert wurden, haben hier einen wertvollen Beitrag zur Diskussion über den Neubeginn einer revolutionären Organisation geliefert. Adresse: ‘Zenshinsha’, 1-50 lkebukurohigashi, Toshima-ku, Tokio.
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“Genau wie die verschiedenen intellektuellen Spezialisierungen muss die Poesie als die besondere Praxis einer Zunft von ‘Technikern’ und literarischen Virtuosen verschwinden, um unmittelbar in jeder schöpferischen menschlichen Handlung zum Ausdruck zu kommen - einschließlich in der Handlung des Schreibens, was die lettristischen bzw. situationistischen Krümchensammler nicht verstehen können, für die die bloße Abschaffung der grammatikalischen Schrift bzw. des künstlerischen Ausdrucks das Wundermittel für die Krise des poetischen Ausdrucks ist.” ‘Front Noir’ Nr.1, Juni 1963
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In dem Buch ‘Das Entwirrbare’, in dem Raymond Borde einige Tatsachen und Bemerkungen, die tatsächlich bald modern werden, mit der Würze des ordinärsten Witzes mixt und schüttelt, ist dieses seltsame Geständnis zu lesen: “Diese Idee liegt bei den Surrealisten in der Luft. Sie ist von den Situationisten wieder aufgenommen worden - aber in einem zufälligen Zusammenhang. Sie kann - man weiß nie - den Schlüssel zu einer revolutionären Theorie liefern…” Bekanntlich (siehe weiter oben in dieser Zeitschrift) konnte Borde seine Stilübungen immer wieder in einen nicht vom Zufall abhängigen Zusammenhang setzen: nur die Uniform hat er gewechselt.
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Es ist vollkommen verkehrt zu schreiben - wie im ‘France-Observateur’ vom 7.2.1963 - dass Robert Dehouxs Broschüre ‘Teilhard ist ein Arschloch’ (auch wenn wir dem Titel gänzlich zustimmen) “vertrauten Umgang mit den Situationisten” erkennen lässt. R. Dechouxs Selbständigkeit liegt doch auf der Hand und sie wurde vor kurzem durch sein zweites Werk ‘Ecce Ego’ noch bestätigt. Anscheinend sind bestimmte Kritiker so sehr an Kopisten gewöhnt, die so tun, als ob sie die S.I. nicht kennen würden, dass sie, wenn sie einmal jemanden treffen, der ehrlich genug ist, uns zu zitieren und die ihm zu seinen Zwecken nützlich erscheinenden situationistischen Bezugsquellen anzugeben, diesen sofort auf die beiden fluchbeladenen Abkürzungsbuchstaben zurück zuführen.
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Attila Kotànyi ist am 27.Oktober aus der S.I. ausgeschlossen worden. Drei Wochen vorher hatte er den Situationisten einen Text unterbreitet, in dem er eine grundsätzliche theoretische Neuorientierung verlangte. Diese war äußerst rückschrittlich und ging sogar bis zum Mystizismus. Ihr Verfasser wurde einstimmig ausgeschlossen. Allein der dänische Situationist Leter Laugesen erklärte, dass er in diesem Text nichts besonders Anstößiges fand, worauf er selbst sofort ausgeschlossen wurde (siehe das im Dezember verbreitete Rundschreiben ‘Über Attila Kotànyis Ausschluss’). Seither schreibt Laugesen lang und breit in der skandinavischen Presse über das unerschöpfliche Thema: “Es sind grässliche Kerle! Ich weiß, wovon ich spreche! Ich hatte ja das Unglück, dabei gewesen zu sein!” Attila Kotànyi ist mindestens einen Schritt hin zum Nashismus gegangen, indem er versucht hat, das Gerücht in Umlauf zu setzen, alles sei nur ein trauriges Missverständnis und er würde bald wieder Fühlung mit der S.I. aufnehmen. Wir müssen aber nein sagen - sein Text war vollkommen klar. Die unseren auch.
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In ‘Die Bewegung des Zeichens’ versteift sich Estivals gegen jeden Schein von Vernunft. Unter tausend anderen Dummheiten hat er angeblich ihr “unvermeidliches Auseinandergehen vorausgesehen und erklärt”. Für ihn offenbarte sich diese zentrifugale Bewegung schon mit einem der allerersten Ausschlüssen - dem Ralph Rumneys - also noch bevor wir eine einzige Zeile veröffentlich hatten. Vielleicht will er deswegen den wirklichen Sinn dieser Ausschlüsse nicht sehen, weil er sicher zu denen gehört, die “nicht einmal die Chance hatten, ausgeschlossen zu werden” (’S.I.’ Nr.8). Oder vielleicht meint er, dass die Stoßwellen dieses Auseinandergehens der S.I. schon die benachteiligten Geisteszonen erreicht hat, in denen er seinen Winterschlaf hält? Wie dem auch sei, er hat bei einigen Pariser Redaktionen - zumindest bei denen von ‘Lettres Nouvelles’ und ‘France-Observateur’ - vorgesprochen und behauptet, er hätte mit den Situationisten etwas gemein. Selbstverständlich kann dieser Schwindel nur diejenigen betrügen, die betrogen werden wollen: nicht nur deshalb, weil die Situationisten intelligent sind und Estivals sogar als CNRS-Forscher ungewöhnlich schwachsinnig zu sein scheint, sondern vor allem, weil die Situationisten Schritte dieser Art nicht unternehmen - das ist bekannt.
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Der Nashismus hat sich in zwei Richtungen verwässert: aus der holländischen Zeitschrift ‘Situationist Times’ ist eine etwas akademische Kunstzeitschrift geworden, die eine sehr reichhaltige Bebilderung über manchmal sehr gut ausgewählte Themen - z.B. das Labyrinth - vorführen kann. Der kleine, den Kommentaren überlassene Raum ist leider dieser historisch-akademischen Bemühung nicht gewachsen. Dr. H.L.C. Jaffé, ein berühmter Museograph, zitiert z.B. die drei ersten Verse der ‘Göttlichen Komödie’ auf italienisch und macht dabei nicht weniger als sechs Fehler (verkehrter oder gar kein Sinn). So ließe sich leicht irgendetwas beweisen - vielleicht sogar, dass der bisher unerklärte Titel dieser Zeitschrift einmal einen Sinn hatte? Auf der anderen Seite sammeln Nash und seine Freunde auf der Straße Almosen als Bärenführer und Feuerschlucker der mit skandinavischer Mystik gezuckerten pop-art. In einem vor kurzem verbreiteten Flugblatt gab sich Nash öffentlich für den ‘Sohn Gottes’ aus. Wie der Vater, so der Sohn.
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“Am Anfang einer Epoche, in der Wissenschaft und Technik eine manchmal irrsinnige Rolle spielen, muss man wohl von den kybernetischen bzw. ferngesteuerten Spielen reden, von diesen Aktivitäten für Erwachsene, die dem Spiel näher stehen als der Kunst und die von der Forschungsgruppe für eine visuelle Kunst anlässlich der III. Biennale im Museum der modernen Kunst der Stadt Paris eingeführt worden sind. Dort gibt es einige Spiele, die eines mathematischen Luna-Parks würdig sind. Unter dem Vorwand, die Beziehung zwischen Werk und Zuschauer zu verändern, bittet die eben genannte ‘Gruppe’ den letzteren um seine Beteiligung. Indem er Bälle wirft, verschiedene Elemente manipuliert, schafft der Zuschauer vielfältige Situationen…” Rabeq-Mailard (’Das Spiel und die Aktualität’, ‘ La Nef’ Nr. 16/17, Januar 64).
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Seit der Spaltung von 1963 bemüht sich die Zeitschrift ‘Socialisme ou Barbarie’ um die Nachfolge von ‘Arguments’ (Siehe folgenden Satz: “Wir wissen, dass Sie ‘Arguments’ wegen der den unseren ähnlichen Gedanken abonniert hatten” - in dem Rundschreiben vom 20.Januar 1964, das vom neuen Redaktionskomitee an die Leser verschickt wurde, die es wiedergewinnen möchte). Das geschieht aber mit einiger Verspätung und ist deutlich schwächer und bedeutungsloser. Politisch gesehen ist das der Ausdruck der gauchistischen und eingebildetesten Schicht dieser Manager und mittleren Kader der Linken, die die revolutionäre Theorie ihrer effektiven Laufbahn in der Gesellschaft und ebenfalls eine gesellschaftliche Laufbahn haben wollen, die für eine solche ‘revolutionäre Theorie’ offen steht. Während aber Leute wie Mallet und Gorz Profis dieser Tätigkeit sind, sieht man denen von ‘Socialisme ou Barbarie’ deutlich an, dass sie nur Amateure sind - Entspannung am Wochenende für Manager, deren wirkliche Laufbahn anderswo ist. Die Minderheit, die aus Treue zum Marxismus gebrochen hat, hat die Auseinandersetzung auf dem falschesten Gebiet angenommen: das ‘Moderne’ war das Erbe der Cardan-Anhänger und die ‘Revolution’ die Fahne der Minderheit. Praktisch repräsentiert weder das eine noch das andere Lager einen dieser Begriffe, da es weder eine Revolution außerhalb des Modernen noch ein modernes Denken außerhalb der aufs neue zu erfindenden revolutionären Kritik geben kann. Die Minderheit (Pouvoir Ouvrier) hat sich so sehr von den Bagatellen der Epoche losgesagt, dass sie es für unnütz gehalten hat, den Sinn der Auflösung von ‘Socialisme ou Barbarie’ zu erklären - ein nach ihrem Geschmack zu modernes Ereignis - oder sogar seine wenigen Leser davon in Kenntnis zu setzen, obwohl diese doch glühend die Arbeiterdemokratie verehren. In ‘Socialisme ou Barbarie’ bleiben nur noch wenige Spuren der nützlichen, jahrelang an vielen Ansatzpunkten verrichteten theoretischen Arbeit. Alles ist in einer außergewöhnlichen Stimmung ertränkt, wo beim Auseinandergehen jeder den anderen überbieten will und alle sich um den besten Posten im Dienst des Verzichts auf jedes kritische Denken drängen. Mitten in diesem Schiffbruch scheint nur der Kapitän sich genüsslich auszutoben. Nachdem er sich 15 Jahre lang umsonst um die Dialektik bemüht hat, und sei es nur für einen Augenblick, beschließt Cardan, sie sei ein noch unreifes Obst, und gibt feierlich bekannt, dass “wir uns so ohne weiteres keine Dialektik, welcher Art auch immer, leisten können, da eine Dialektik doch die Rationalität der Welt und der Geschichte voraussetzt und diese Rationalität ist ein sowohl theoretisches als auch praktisches Problem” (’Socialisme ou Barbarie’ Nr.37, S.27). Infolgedessen kann er seine lange Zeit verheimlichte Unfähigkeit, das Zusammenspiel der Widersprüche zu verstehen, mit größtem Stolz zur Schau tragen: “Dieser (marxistischen) Theorie der Geschichte liegt eine Philosophie der Geschichte zugrunde, die mit dieser tief und widersprüchlich verwebt und selbst widersprüchlich ist, wie wir sehen werden”. Gewiss werden wir bei einem so guten Anfang alles sehen - sogar wie Lapassade eine solche Avantgarde der Revolution des ‘Infragestellens’ psychodramatisch leiten wird.
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Die S.I. hat im Dezember 1963 akzeptiert, die Untersuchung des Zentrums für eine sozio-experimentelle Kunst über das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft zu beantworten. Sie hat aber selbstverständlich jede Beteiligung an den Diskussionen zwischen verschiedenen Kunstrichtungen für die Bildung einer ‘Künstlervereinigung’ abgelehnt. Damals hatte Isou auf einer allgemeineren Ebene sogar alle ehrlichen Leute zu einer vereinigten Jagd auf die Situationisten aufgerufen, durch folgende, in den Räumen des Zentrums angeschlagene (und in der ‘Lettristischen und esthapeiristischen Avantgarde’ nachgedruckten) Bekanntmachung:
“So wie bestimmte reaktionäre Gruppen behaupten, die Maschinen müssten zerstört werden, so behaupten gleichfalls andere reaktionäre Gruppen - die, wie die Situationisten z.B., auf einen schlecht verdauten unter-unter-untermarxistischen Ersatz (’Höhlenmenschenmarxismus’ nannte es Lenin) gründen - dass in naher Zukunft die gesamte Kunst beseitigt werde… Zu einer Zeit, wo neo-nazistische Bewegungen mit Hakenkreuz und Hitlergruß wieder zum Leben erwachen - wie z.B. in Amerika und England - und gleichzeitig Grüppchen wiedererscheinen, die Form und Materialversuche in der Kunst wie zu den finstersten Perioden von Görings und Stalins Anti-Formalismus angreifen, müssen diejenigen, die um die erneuernde Entfaltung des Menschen besorgt sind, zusammenstehen, um die schändlichen Verdummungsbemühungen der Feinde jeder Aufklärung vom Typ der Zweckentfremdungshöhlenmenschen zurückzuweisen.” (Antwort an die ’situationistischen’, obskurantistischen Abfälle). Diejenigen, die um das, was sie wissen, besorgt sind, stehen ordentlich zusammen, da das von Pierro Simondo - der wegen Krypto-Katholizismus schon fast bei ihrer Gründung aus der S.I. ausgeschlossen wurde - geleitete ‘Internationales Forschungszentrum der Ästhetik’ im März 1964 Isous Bilder ausstellte, wobei der für tot gehaltene Jesuit Tapié ein begeistertes Vorwort lieferte. So kommen schöne Kinder zur Welt.
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Ein Buch von G. Debord war bei der Ausstellung ‘Schrift und Bild’ in Baden-Baden und in Amsterdam ohne seine Genehmigung zu sehen und ohne dass er irgendwie benachrichtigt worden war. Auf ein erstes Protestschreiben, das wir den Organisationen zugeschickt haben, nachdem wir endlich auf dieses Manöver aufmerksam gemacht wurden, antworteten die Baden-Badener, der Holländer A. Petersen vom Amsterdamer Stedelijk Museum sei dafür verantwortlich, während dieses Museum gleichzeitig behauptete, die Wahl hänge von dem Direktor der ‘Kunsthalle’ in Baden-Baden ab, dem Deutschen Mahlow. (Fortsetzung folgt).
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“Es ist in der anarchistischen Gesellschaft notwendig, jedesmal in einer neuen, unbekannten Welt aufzuwachen, die andere Möglichkeiten als die von gestern anbietet… Anscheinend haben die Situationisten das verstanden und sie schlagen z.B. eine Revolution der Architektur vor (eine Stadt könnte jeden Tag anders aussehen), die den Menschen täglich in neue Situationen versetzen würde. Das ist zwar nur eine Seite, aber sie weist in unsere Richtung: das gesamte heutige Leben muss revolutioniert werden…” ‘Jeunes Libertaires’, März 1964.
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Nach der Veröffentlichung des Textes ‘All the king’s men’ (siehe ‘S.I.’ Nr.8), der von David Arnott übersetzt wurde, in der englischen Zeitschrift ‘Tamesis’ vom März 1964 haben ihn zwei Professoren der Reading University in derselben Zeitschrift auf deutlich verschiedenen Ebenen des Verständnisses kommentiert. “…Diese Leute, die in einigen ihrer Manifestationen eher Anarchisten des XX. Jahrhunderts zu sein scheinen. Meiner Meinung nach sind sie ungefähr 70 an der Zahl, in 30 verschiedene Länder aufgeteilt. Drei Mitglieder sind schon wegen Abweichung bzw. aus sonstigen Gründen ausgeschlossen… Und dies ist von einem bestimmten Standpunkt aus das Originellste: die Revolution muss außerhalb der Autorität stattfinden (nicht nur außerhalb dessen, was die Sprachautoritäten bzw. Experten festgesetzt haben, sondern auch außerhalb der Regierungsmacht - fast außerhalb des politischen Gebildes). Hier kann man sehen, dass diesem Pamphlet eine vollkommen anarchistische Denkweise zugrunde liegt.” Prof. Lucas.
“Das Wort aber, das erlaubt ist, setzt voraus, dass es jemanden gibt, der erlaubt, und der Verfasser will diesen Machtsitz offensichtlich selbst zurückweisen. Deshalb ist er auf eine Art Anarchist, die - zumindest soviel ich weiß seit langer Zeit nicht mehr zum Ausdruck gekommen ist… Ist dieser Mann dabei, die marxistische Auffassung der sozialen Revolution zusammenschrumpfen zu lassen und zu versuchen, die nächste Entwicklungsstufe in die Gegenwart hineinzuzwingen; durch eine bewusste Anstrengung zu versuchen, z.B. die moderne Poesie vom Standpunkt des XXI. Jahrhunderts aus brauchbar zu machen? Ich denke ja… Dieser Artikel geht nur oberflächlich durch eine ganze Reihe von Argumenten weiter. Er ist zugleich ein Manifest und ein Beispiel dessen, was das Manifest erfüllen will. Es muss wörtlich genommen werden - oder gar nicht.” Prof. Bolton.
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Guiseppe Pinot-Gallizio, einer der Begründer der S.I. bei der Konferenz in Cosio d’Arroscia, der 1960 ausgeschlossen worden war, ist am 12.Februar 1964 in Alba gestorben. Als Experimentierender auf allen Gebieten ist Gallizio einer der Künstler gewesen, die einen äußersten Punkt in der schöpferischen Periode der modernen Kunst am besten repräsentierten. Er war entzweit zwischen der Suche nach einem ständigen Weitergehen und einem gewissen Festhalten am Geschmack dieser alten Periode. Durch einige seiner Neigungen und vor allem durch den Druck seiner Umgebung wurde seine Beteiligung an der S.I. schließlich schwierig; ihm ist es aber gelungen, unabhängig zu bleiben. Als sehr erfindungsreicher Geist war er dem verfälschenden nashistischen Werbungsrummel genau entgegengesetzt. Der Anfang der situationistischen Bewegung verdankt ihm viel.
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In Kopenhagen sind im Mai kommunistische Studenten der prochinesischen Umtriebe beschuldigt und von der Universität ausgeschlossen worden. In Wirklichkeit wurde ihnen ihr Interesse für S.I.-Thesen vorgeworfen.
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In dem Buch von Prof. Guy Atkins ‘Asger Jorn’ (Methuen Verlag, London 1964) ist folgendes zu lesen: “Nach der Kobra-Bewegung ist die 1957 gegründete Situationistische Internationale die wichtigste Bewegung, an der Jorn teilgenommen hat. Es ist interessant, diese beiden so verschiedenen Bewegungen zu vergleichen… Jede existierte tatsächlich etwa drei Jahre lang. Kobra war wie eine Lawine, die sich durch alles bis zur Ungeheuerlichkeit vergrößerte. Die S.I. war genau das Gegenteil: sie trat als geschlossenes und kohärentes Ganzes auf und zersprang in viele Marmorsplitter. Mitte 1962 waren fast alle Mitglieder von Guy Debord ‘ausgeschlossen’ worden, obwohl Jorn geschickt genug gewesen war, 1961 zu gehen. Kobra produzierte eine gemeinsame Bildkunst. Die S.I. schuf einen Geist und eine Haltung und entfaltete eine Experimentaltätigkeit mit merkwürdigen und scharfsinnigen Ideen. Wegen des Herdentriebs ihrer dänischen Mitglieder hatte Kobra zu wenig Disziplin. Die Situationisten sind durch ihre eigene Disziplin geschaffen und dann zerschlagen worden.”
An diesem realistischen Schluss können unsere Leser den Wert ermessen, der den anderen Punkten dieses Vergleichs zukommen wird (Kobra hat die Menschen geschildert, wie sie sind, und die S.I., wie sie sein sollten?).
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Im Juli 1964 hat die S.I. das Flugblatt ‘Espana en el corazón’ auf spanisch und französisch veröffentlicht, das auf eine neue Form der Propaganda aufmerksam machte, wie sie zur Zeit in Spanien ausprobiert wird.