Zweifelsohne sind die Situationisten sehr angreifbar. Leider haben diese Kritiker bisher fast vollständig gefehlt. Wir meinen die kluge, genaue und ehrliche Kritik, wie sie von Revolutionären geübt werden könnte und wie sie sie eines Tages an vielen unserer Thesen und manchen Punkten unserer wirklichen Tätigkeit leicht ausüben werden. Dagegen bringt die Art und Weise, wie viele Revolutionäre der heutigen Epoche uns unsinnige Einwände oder Beschuldigungen an den Kopf werfen, als ob sie das Problem durch die traurigen Reflexbewegungen loswerden wollen, die sie sich in der alten Epoche ihrer Niederlagen und ihres Nichtvorhandenseins angeeignet haben, um ein beharrliches Grüppchenelend, eventuell sogar erbärmliche verschwiegene Absichten an den Tag.
Sagen wir zuerst, dass wir, genau wie wir die Wut der Bourgeois oder Bürokraten auf uns, sowie den Hass der intellektuellen Rekuperatoren für sehr normal halten, recht wohl annehmen, dass Revolutionäre - wenn es solche gibt -, die sich prinzipiell als Feinde jeder Organisationsform behaupten mit einer genauen Plattform, für die alle Beteiligten praktisch mitverantwortlich sind, uns vollständig verurteilen, da wir sichtbar entgegengesetzter Meinung und Praxis sind. Aber alle anderen? Man muss offensichtlich unehrlich sein und dadurch stillschweigend irgendwelche Herrschaftsziele bekennen, um der S.I. vorzuwerfen, eine Organisation mit Führungsrolle zu sein. Denn wir haben alles getan, um es fast unmöglich zu machen, S.I.-Mitglied zu werden (was anscheinend jede konkrete Gefahr an der Wurzel fasst, gegenüber der geringsten Massenfraktion zu einer ‘Führung’ zu werden). Andererseits ist es ganz klar, dass wir unser - sagen wir - ‘geistiges Prestige’ nie gehandelt haben, sei es durch den Verkehr mit irgendwelchen bürgerlichen oder intellektuellen Kreisen - und noch weniger durch die Annahme von ihren ‘Ehren’ oder Belohnungen - oder sei es durch ein Ringen mit so vielen Grüppchen um Bewunderung oder Kontrolle über einen Teil des elenden Studentenpublikums und auch nicht durch den Versuch, den geringsten Druck und nicht einmal unsere geringste direkte oder indirekte Anwesenheit in den autonomen revolutionären Organisationen auszuüben, deren Bildung wir - zusammen mit einigen anderen - befürworten und die schon damit beginnen, sich untereinander treffen zu wollen. Man muss also annehmen, dass diejenigen, die nie etwas gemacht haben, durch erfundene Ziele und Mittel, die sie uns zuschreiben, den Skandal erklären wollen, der darin besteht, dass wir etwas machen konnten. Eigentlich wird uns deshalb vorgeworfen, ‘eine Elite’ zu sein und folglich danach zu streben, diejenigen zu führen, die wir nicht einmal kennenlernen wollen, weil wir gewisse Leute verletzen, indem wir uns weigern, mit ihnen in Kontakt zu treten oder sogar ihren Beitritt anzunehmen. Welche Rolle sollten wir uns also ‘als Elite’ zugedacht haben? Die als Theoretiker? Wir haben gesagt, dass die Arbeiter Dialektiker werden müssen und künftig all ihre theoretischen und praktischen Probleme selbst lösen müssen. Anstatt sich über lauter Klatsch für uns zu interessieren, sollten alle diejenigen, die es wollen, sich nur unsere Methoden aneignen, und sie werden um so unabhängiger von uns sein. Nach dem Mai könnte der theoretische Rückstand bei vielen und sogar bei gewissen Studenten ziemlich schnell durch eine geeignete Praxis und einigen jetzt zugänglich gewordenen Lesestoff aufgeholt werden. Die hauptsächliche, von uns befürwortete Methode - die zwar nicht gern bei uns entliehen, uns aber um so lieber vorgeworfen wird - ist eine bestimmte geistige und praktische Strenge. Die Arbeiter, die aus der vorherigen Periode gelernt haben, haben eine recht begrenzte und erdrückende ‘revolutionäre Umwelt’ kennengelernt, in der unzählige kleine Lügen zur Tagesordnung gehörten, die sie geduldet haben. Das wollen wir nicht mehr. Diese Unverantwortlichkeit wird ein Ende nehmen, und die Duldsamen, die wir nur deswegen von uns fernhalten, werden zusammen mit der Rückkehr der tiefen historischen Bewegung verstehen, dass es in diesem Bereich keine kleinen Lügen gibt.
Man vermischt absichtlich drei sonst unterschiedene Lügen und wirft dieser ‘Elite’ vor, die die S.I. darstellen soll, eine führende Organisation zu sein - wie denn? -, die Diktatur der Theorie darzustellen - durch welche Vermittlung? - und aus reichen Bourgeois zu bestehen - darüber lachen wir lieber! Der letzte Einwand wäre, wenn er stimmte, nicht weniger schwachsinnig, da einige sehr bekannte Revolutionäre des XIX.Jahrhunderts - sozio-ökonomisch gesehen - proletarisierte Intellektuelle und selbst mehr oder weniger Schmarotzer und bürgerlicher oder fürstlicher Abstammung waren. Jedenfalls aber können wir allen Verdächtigen, die uns bei jeder Gelegenheit als eine Elite der Studentenwelt präsentieren, eine für sie recht beklagenswerte Wahrheit entgegensetzen: nehmen wir die Verfasser der drei einzigen bisher von uns veröffentlichten Bücher als Beispiel, so sind zwei von ihnen Arbeitersöhne und der dritte - einer, der wie kein anderer seine gesellschaftliche Stellung verloren hat - war nicht einmal Student.
Es stimmt völlig, dass wir schon vor dem Mai viel früher als andere eine radikale Kritik der modernen Gesellschaft ausgearbeitet haben. Was diejenigen betrifft, die sich wie dieser 1967 ausgeschlossene Garnault-Anhänger naiv darüber empören, dass jede fortgeschrittene Aktion selbst durch die herrschende Welt bedingt wird, die ‘den Rückstand in jedem Bereich’ vervielfacht hat, so kann man wohl verstehen, dass sie im Verhältnis zu ihrem eigenen demokratisch gerühmten Rückstand die S.I. als eine Elite brandmarken. Wenn die Tatsache, gleichzeitig mit der revolutionären Wirklichkeit da zu sein, die Elite kennzeichnet, dann sind wir eine. Eine solche ‘Elite’ steht aber dem Proletariat näher, wenn es als historisches Subjekt wiedererscheint, als alle stolzen Spezialisten des Rückstands. So war z.B. die S.I. am Anfang der Bewegung der Besetzungen stark anwesend, während viele andere Revolutionäre - wir sprechen hier nicht von den Neobürokratengruppen - erst Ende Mai angefangen haben, ihre eigenen handelnden Ideen in dieser Bewegung zu erkennen. Trotz der Grausamkeit dieses Verfahrens müssen wir die Mitte Mai herausgekommene Nr.71 von ‘ICO’ zitieren, die weder vor dem 11. noch nach dem 13. geschrieben worden sein kann, da sie den von den Gewerkschaften auf den 13. festgesetzten Streiktag und die Demonstration ankündigt. Hier ICO’s Analyse zu dieser Zeit (die sie natürlich im Juni verbessern wird): “…Die Entwicklung der Bewegung in dem engen Rahmen der Studentenforderungen und der Lösung des ‘Universitätsproblems’ in einer Ausbeutungsgesellschaft, der Mangel an wirklicher Solidarität der Arbeiter, sowie das Abflauen der Bewegung, das die aus dem Kampf entstandenen neuen Verhältnisse beseitigen und der bisher passiven bzw. im Hintergrund stehenden Masse ihr ganzes Gewicht zurückgeben könnte, zwingen einen, sich die Frage nach dem Sinn der künftigen Entwicklung zu stellen: rechter oder linker Totalitarismus oder was sonst? Die Gewaltanwendung auf der Straße gegen die aktuelle politische Macht ist kein unbedingtes Zeichen für einen Klassenkampf der Ausgebeuteten gegen den kapitalistischen Apparat. Eine Revolution (und von einer Revolution sind wir weit entfernt) kann eine neue Klasse, eine gerade in der Repression ‘Wirksamere’ bürokratische Gesellschaft gebären (…) Fühlen sich die meisten Arbeiter über Affektreaktionen hinaus wirklich betroffen? In welchem wirklichen Zusammenhang steht die Bewegung, sogar in ihren weitesten Entwicklungsformen, zum Klassenkampf? Eine erste Antwort kann schon gegeben werden: eine spontane Solidarität der Arbeiter hat nicht stattgefunden.”
Wie man sieht, gibt es in diesem Text keine Spur eines fehlerhaften Avantgardismus, aber bedeutet nicht in solchen Tagen ein solcher Rückstand des Verständnisses eine totale Trennung von der revolutionären Bewegung, die der lächerlichsten Zurückgebliebenheit gleichkommt? Glücklicherweise werden die Arbeiter von Nantes in ICO nicht anerkannt. Selbstverständlich sind diejenigen, die spät gekommen sind - Viénets Buch weist darauf hin, dass am 17.Mai “bei dem von der Krise erreichten Grad keine Gruppe kräftig genug war, um mit nennenswerter Wirkung in eine revolutionäre Richtung einzugreifen” - auch spät wieder gegangen. So ist z.B. im Juni 1969 in der Nr.82 von ‘ICO’ ein Artikel über die Geschichte der ‘inter-betrieblichen’ Gruppierung zu lesen, zu der die ICO-Gruppe gehört und deren letzte leer gewordene Sitzungen bis “Ende 68 - Anfang 69″ fortbestanden. Eine Fußnote über den CMDO weist zu Recht darauf hin, dass “die Tatsache, dass der CMDO sich am 15.Juni aufgelöst hat, zeigt, dass seine Mitglieder sich der Probleme, die wir stellen, bewusst waren.” Richtig, und zwar sechs Monate vorher.
Der CMDO hätte sich sogar noch ein paar Tage vorher aufgelöst, hätte er nicht die letzten Kämpfe der Flins-Arbeiter bis zum Ende unterstützen wollen. Das Abflauen war schon in den allerersten Juni-Tagen offensichtlich und es war gar nicht unsere Absicht, die revolutionäre Räteorganisation zu spielen zusammen mit dem CMDO, der nur die improvisierte Form war, die durch die Beteiligung an einer wirklichen revolutionären Bewegung möglich und - für uns selbst - notwendig gemacht wurde. Später schienen uns die bewussten Fälschungen und lächerlichen Manöver von zwei oder drei ‘ehemaligen CMDO-Mitgliedern’, sowie die Ratlosigkeit einiger anderer zum Vorschein kommen zu lassen, dass diese Auflösung durch die S.I. und einen Teil der bewusstesten Genossen von den CMDO-Mitgliedern aufgezwungen sei, obwohl sie zu dieser Zeit einstimmig gebilligt worden war und uns als die Absicht aller erschienen war. Was zu bedeuten hat, dass eine solche Gruppierung, wenn man sie nach dem revolutionären Moment hätte aufrechterhalten wollen, in dem die Gleichheit wirklich bestand und die permanente, gemeinsame Tätigkeit ihr unmittelbares Übungsfeld gefunden hätte, zwei unannehmbare Kategorien mit sich gebracht hätte - die Revolutionsspezialisten und ihre Mitläufer. Einige CMDO-Genossen ließen erkennen, dass sie gerne zu Ausführenden der S.I. geworden wären, und wurden später darüber böse, nicht als solche angenommen worden zu sein. Diejenigen dagegen, die zu dieser Zeit eine wirkliche Autonomie an den Tag legten und nachher der S.I. beitreten wollten, wurden einige Monate später aufgenommen. Die Auflösung des CMDO ist eine allgemeine praktisch-theoretische Notwendigkeit gewesen und nicht nur ein taktisch nützlicher Schritt, der es den ‘Kompromittiertesten’ - den Situationisten und den Wütenden - normalerweise überließ, allein für die strafbaren Handlungen verantwortlich zu sein, die dem CMDO zugeschoben werden könnten. In dem Augenblick, in dem der CMDO stark der Gefahr ausgesetzt wurde, von einer Elite abhängig zu werden, schaffte sich diese als solche sofort ab, indem sie die Auflösung unterstützte.
Mit der Räteorganisation darf man nicht spielen. Wenn sie zustande kommt, dann mit Arbeitern, die sich überhaupt nicht um Eliten kümmern und keine Nachsicht mit dem Rückstand üben. Sie werden die S.I. mit kaltem Blick an ihrem einfachen Platz in der Geschichte sehen und tatkräftig die Fälschungen der alten Welt und die Komplexe der Halbgelehrten verbieten.