Laut einer Associated-Press-Depesche vom 6.Mai 1965 “kam der nach 4 1/2 Jahren Gefängnis aus Algerien ausgewiesene Dr. Ronald B. Ramsey, ein schwarzer amerikanischer Psychologe, Mittwoch abend per Flugzeug in einem Rollstuhl in New York an. Er behauptete, er sei von der algerischen Geheimpolizei ‘misshandelt und gefoltert’ worden. Er erklärte weiter, die Polizisten hätten ihn mit einem Strick an der Decke aufgehängt und sechs Stunden lang derartig durchgeprügelt, dass er einen Wirbelknochenbruch erleiden musste. Der Psychologe bestätigte, dass er den Grund nicht wüsste, warum er festgenommen worden war. ‘Denn’, so sagte er, ‘ich stimme der algerischen Regierung zu’. Dr. Ramsey erklärte weiter, er sei ebenfalls mit Strom gefoltert worden und er könne wegen seiner Inhaftierung und der Folgen der Misshandlung nur noch mit größter Mühe gehen und er leide an ständigen Kopfschmerzen und sonstigen Übelkeiten. Er sagte aber, dass er nicht verbittert sei: ‘Ich empfinde nur Liebe, Bewunderung und Ehrfurcht vor Ben Bellas Regierung. Wenn ich wieder gesund werde, bin ich gern bereit, noch einmal nach Algerien zu gehen’, sagte er zum Schluss.”
Man weiß, dass die bolschewistische linke Opposition, als sie in einem bestimmten Augenblick festzustellen glaubte, dass Stalin damit begann, sich ’seiner Rechten’ zu widersetzen, es im Inneren von Sibirien für ihre Pflicht hielt, ihn zu unterstützen. Sie hielt es für dringend, ihn daran zu erinnern, dass er die Disziplin in den Fabriken noch verstärken sollte, um seinen revolutionären Kurs bis zum Ende gehen zu können, ohne von Störern belästigt zu werden. Vergleicht man diese römischen Selbstverleugnungen mit der von Ben Bellas Onkel Tom, so wird dieser überrascht sein - sie haben gemeinsame Wurzeln. Die unmittelbaren Agenten wie auch die geistigen Lakaien der bürokratischen Macht haben eine Menge absurder Verbrechen akzeptiert, als ob sie das Wesen der Revolution selbst ausmachten. Gerade weil sie keineswegs geglaubt haben, dass die als Verräter behandelten Menschen tatsächlich solche waren, rührt sie die Bestätigung desselben Verfahrens nicht, wenn sie ihre subjektive Treue trifft. Sie meinten, dass dort, wo gehobelt wird, Späne fallen müssen, so dass sie sich nicht darüber wundern können, wenn sie selbst eines Tages unter den Spänen sind, die zum immer unsichtbaren Ergebnis dieses Hobelns beitragen. Wenn die ‘Revolutionäre’ dieses Jahrhunderts einmal akzeptiert haben, dass das erste revolutionäre Projekt, das den Übergang der Menschen in die bewusste Geschichte bezweckt, über den Umweg einer passiv manipulierten und vom Recht zu verstehen ausgeschlossenen Arbeiterklasse verwirklicht werden kann, haben sie damit gleichzeitig akzeptiert, den Preis dafür zu bezahlen, indem sie selbst passiv und wie Leichen manipuliert werden. Genau wie auf eine eigene, bewusste Aktion verzichteten sie auch auf die Aktion und das Bewusstsein der Massen und sie haben sie wie ein lästiges Problem der Polizei ausgeliefert.
Diese schöne Bescheidenheit, die die gesamte Wirklichkeit und die möglichen Erfolge der Forderungen der anderen munter preisgibt und das Offensichtlichste im Möglichen aus eigener Macht verheimlicht, d.h. aus der Macht von patentierten Revoltenexperten, ist eine einheitliche Bescheidenheit: sie gibt auf jedem Gebiet auf. Raymonde Borde (an dessen Karriere wir in ‘S.I.’ Nr.9 erinnert haben) schreibt z.B. in der Sonderausgabe der Zeitschrift ‘Positif’ über den Erotismus (Sommer 1964): “Das liebe, sehr liebe Lesbierinnen-Phantasma hat Festungsarrest. Dieser bezaubernde Erotismus liegt in den geheimen Geistesprojektionen verborgen, denn er ist mehr als irgendein anderer terrorisiert. Und doch bricht im Leben eines Mannes die Erscheinung der ersten Lesbierinnen auf der schwarzen Leinwand der Phantasie wie das natürlichste Wunder der Welt hervor. Das geschieht etwa mit 16 Jahren. Eines Tages verdoppelt der Geist eine nackte, begehrte und willige Frau und durch diese einfache Summierung wird das vervielfacht, was sie in süßem Taumel vereinigt(…) Aber erbarmungslose Verhaltensregeln bringen diese Betörung zum Schweigen. Zuerst bekommt das Phantasma keine Antwort; umsonst sucht es nach Objektivierung. Die Hälfte der Menschheit - die Frauen - erklärt mit nur wenigen Ausnahmen, sie sei dafür unempfindlich(…) Ein allzu glühender Traum, um ihn zu berühren, ein Gedanke ohne Körper, ein geistiger Ritus … Die Phantasie kann unmöglich ungestraft träumen, wenn nie etwas an die Tür klopft.”(Hervorhebungen von uns.). Borde kommt dann zu dem Schluss, dass “die große lesbische Filmkunst noch immer in den Kinderschuhen steckt, sie hat aber zweimal ihre Dichter gefunden”, und er erklärt, es seien Franju und Nico Papatakis.
Ohne über die jämmerliche Literatur zu ironisieren, durch die Borde uns sein Leben - sein Überleben - erzählt, kann man auf manche aufschlussreiche Punkte hinweisen: die Verdinglichung ‘der Lesbierin’ nach den schlimmsten Albernheiten der pseudo-sexologischen Spezialisierung, die unterwürfige Anerkennung des moralischen Terrorismus ohne das geringste praktische Experimentieren, der bei einer solchen Untertänigkeit tatsächlich vollkommen wirksam wird; der blinde Glaube daran, was Frauen solchen Meinungsforschern wie Borde sagen, eine ebenso bestürzende Naivität wie dieser soziologische Fragebogen, aus dem vor wenigen Jahren herauszulesen war, dass nur ein winziger Prozentsatz der in einem hochindustrialisierten Land befragten Arbeiter eine Revolution erwartete. Es gibt aber noch Schlimmeres: Borde ist ein stalinistisch-surrealistischer Revolutionär und einer der französischen Spezialisten für den revolutionären Film. Seit ungefähr 10 Jahren wiederholt er diese Rolle. Was macht einen Borde aus? Das sehen wir hier. Auf das, was Borde mit 16 Jahren wollte, um bei seinen eigenen Erklärungen zu bleiben, hat er verzichtet. Deshalb möchte er, dass der Film ihm das zeigt. Und indem er das fordert, gilt er als ein freier Geist, ein fortschrittlicher Filmemacher und ein Spezialist für den Erotismus - im Film. Sein erster Verzicht machte gerade diesen Spezialisten aus ihm. Aber die Diener des Spektakels, denen am vorderen, pseudo-kritischen und pseudo-revolutionären Rand dieses Spektakels ein Platz gegönnt wurde, bekommen selbstverständlich nur den kümmerlichsten Teil ab. Ihr träumerischer Reformismus ist deshalb zwangsläufig frustriert und hämisch, da das Spektakel als Ganzes es nicht nötig hat, ein Bild zu geben, das der wirklichen, von ihm verdeckten und aufrechterhaltenen, ausgebeuteten Existenz völlig widerspricht. Der erotisch-libertäre Aspekt des Spektakels wird immer nur ein streng kontrolliertes Bild sein gemäß einer Gebrauchsfunktion, durch die dem erotischen Bildmaterial in der direkten Werbung z.B. ein breiteres Betätigungsfeld offensteht als in der Film’kunst’. Warum sollte die unterdrückende Welt, der Borde und seinesgleichen einen solchen Respekt zollen, ihrer Ohnmacht sogar dieses Vergnügen zuteil werden lassen? Borde hat den Film, den er verdient. Wenn die tiefer liegende Zensur in der Gesellschaft und im Kopf der Zuschauer (deren Passivität Leute wie Borde vertreten, indem sie sie als Vorbildlich darstellen) einmal zusammenbricht, dann hat niemand mehr ein nur auf den Film beschränktes erotisches Interesse. So werden die Vorstehhunde des Spektakels immer wieder zu spät sein und immer wieder für die Verspätung arbeiten. Sie spenden ohne Widerspruch dem Beifall, was sie nicht tun und zugegebenerweise nicht tun können, wenn andere es ihnen von weitem und einseitig vormachen. Sie geben zu, das es für sie gut genug ist - und gerade durch dieses Geständnis werden sie als die anspruchsvollsten Menschen im Spektakel anerkannt - wenn Godard ihnen einen Film oder Mao Tse Tung ihnen ein Regime anbietet, das eine so ‘revolutionär’ wie das andere!