Nachdem in Frankreich die parlamentarische bürgerliche Republik ohne Widerstand weggefegt wurde, denunzierten die revolutionären Intellektuellen einstimmig den Zusammenbruch der Arbeiterparteien, der Gewerkschaften, der Nachtwandlerideologien und der Mythen der Linken. Nur auf ihren eigenen Zusammenbruch hinzuweisen, schien ihnen nicht Wert genug.
Es war eben eine wenig glänzende Intellektuellengeneration. Die philosophischen Diskussionen, die Lebensweise und die künstlerischen Moden, die sie liebte, waren auf der ganzen Linie lächerlich. Man konnte sogar spüren, dass sie es selbst ahnten. Bloß im politischen Denken spielten sie die Hauptrolle und wussten sich zu behaupten, denn durch die Abwesenheit der KP war ihnen das Monopol des freien Denkens überlassen und es machte sie im Gegenteil berühmt.
Diese Freiheit haben sie aber kaum benutzt. Nie haben sie sich zu einer Gesamtkonzeption des revolutionären Denkens aufgeschwungen. Gerade im April 1958 folgerte Morin aus einem Artikel voll sehr richtiger Bemerkungen in der Nummer 7 der Zeitschrift ‘Arguments’ folgende Entdeckung: “die große, die einzige Kunst” sei die politische, da “all die anderen Kunstrichtungen sich heute erschöpfen und austrocknen, sich in Wissenschaften verwandeln oder zur infantilen Zauberei umgestaltet werden.” Und Morin, den es sehr freute, die künstlerische Zukunft, von der er zum ersten Mal hörte, so beiläufig gesehen zu haben, vergaß dabei, dass das Ziel der Revolutionäre nichts anderes ist als die Aufhebung der Politik - die Verwaltung von Dingen statt der Regierung von Personen.
Sobald die Maikrise angefangen hatte, erlitten die meisten revolutionären Intellektuellen zusammen mit den Arbeiterparteien in einer bürgerlich-republikanischen Ideologie Schiffbruch, die keiner wirklichen Kraft, weder in der Bourgeoisie noch in der Arbeiterschaft entsprechen konnte. Die Gruppe um die Zeitschrift “Socialisme ou Barbarie”, die das Proletariat für eine Art verborgenen Gott der Geschichte hält, war über dessen Entwaffnung mit verschlossenen Augen froh, die einem Höhepunkt des Klassenbewusstseins und einer späteren Befreiung vom schädlichen Einfluss der Parteien und Gewerkschaften entsprechen müsste.
Die Abwesenheit eines revolutionären Gegenschlages im Mai hat aber die vollständige Niederlage der legalistischen Linken, die “zum Bürgerkrieg Nein sagte”, zur Folge gehabt.
Die einzigen immer noch einander gegenüberstehenden Kräfte in Frankreich sind die, die den Kampf gegen die koloniale Revolution ausgenutzt haben, um ihr Programm durchzusetzen - die kapitalistische Reaktion einerseits, die einen den neuen ökonomischen Strukturen besser angepassten Staat auf direktere Weise kontrollieren wollte, und die faschistische Reaktion der Armee und der Siedler andererseits, die den Krieg im allgemeinen um jeden Preis gewinnen wollte. Die zwischen diesen beiden Tendenzen bestehenden Widersprüche verhindern nicht ihre relative Solidarität; wegen der Zersplitterung der Arbeiteropposition gegen den Gaullismus und der Ermattung des bewaffneten Kampfes der Algerier bewegt sie nichts zur unmittelbaren Kraftprobe: die Siedler und de Gaulle können sich in der Perspektive mehrerer weiterer Kriegsjahre in Algerien bequem einrichten, im Laufe derer sich das Gleichgewicht zwischen ihnen ändern kann.
Allein das Proletariat war durch seinen Mangel an revolutionärer Organisation und an Verbindung mit dem Kampf der kolonisierten Völker unfähig, die Kolonialkrise der bürgerlichen Republik dafür zu nutzen, sein Programm durchzusetzen. Es hatte weder ein Programm noch eine Führung, die am Tage nach dem 13. Mai imstande gewesen wäre, es zum aufrührerischen Streik aufzustacheln. Noch lange wird man den Umfang dieser Niederlage abmessen müssen.
Die Hauptlehre, die daraus gezogen werden muss, heißt, dass nur das revolutionäre Denken Kritik am alltäglichen Leben in der bürgerlichen Gesellschaft üben und eine andere Vorstellung vom Glück verbreiten kann. Die Linke und die Rechte waren sich über ein Bild des Elends einig - und zwar über den Mangel an Nahrungsmitteln; ebenfalls waren sie sich über das Bild eines guten Lebens einig. Darin liegt die Wurzel der Mystifikation, die die Arbeiterbewegung in den industrialisierten Ländern niedergeschlagen hat. Die revolutionäre Propaganda muss jedem die Möglichkeit einer tiefen und unmittelbaren persönlichen Veränderung vor Augen halten. In Europa setzt diese Aufgabe inhaltsreichere Forderungen, damit das Elend der Mopeds und der Fernsehapparate den Ausgebeuteten unerträglich gemacht wird. Die revolutionären Intellektuellen müssen also die Bruchstücke ihrer aufgelösten Kultur preisgeben und versuchen, selbst auf eine revolutionäre Art zu leben. Dadurch werden sie endlich auf die Probleme einer Volksavantgarde stoßen. Das Beefsteak wird für die Massen nicht mehr das Zeichen für das Recht auf Leben sein. Die revolutionären Intellektuellen werden die Politik gelernt haben. Die Frist bis dahin, die sich sehr unangenehm ankündigt, läuft Gefahr, lange zu dauern.