Das Buch ‘Die Sorbonne über sich selbst’ (Verlag Ouvrières, Oktober 1968), in dem Dokumente über Mai und Juni 1968 gesammelt sind, erhebt Anspruch auf historische Objektivität. Es erscheint als eine Sonderausgabe der Universitätszeitschrift ‘Le Mouvement Social’ und wurde unter der Verantwortung von Jean Maitron, dem Direktor dieser Zeitschrift, verfasst, der sich eines bestimmten Rufs als Historiker der Arbeiterbewegung und zugleich als ‘Libertärer’ erfreut. Es muss übrigens angemerkt werden, dass J.C. und Michel le Perrot, sowie Madeleine Rebérioux, die bekanntlich der stalinistischen KPF angehörte, an dem Buch mitgearbeitet haben.
Mit vielen unrichtigen Einzelheiten spricht dieses Buch von den Situationisten, und einige unserer Mai-Dokumente werden darin wiedergegeben. Nachdem sie S.6 edelmütig erklärt haben, “wir haben uns geweigert, irgendetwas auszulassen (Tod den Pünktchen, die, man weiß nie was, in die Hölle zurückweisen!)”, haben die Verfasser doch die ‘masperisierte’ Fassung unseres ‘Berichts über die Besetzung der Sorbonne’ veröffentlicht, die die Anwendung der Pünktchen stark vermissen lässt, die zumindest bekanntgeben, dass etwas vorenthalten wurde.
Doch Maitron geht noch weiter, als eine Fälschung aus dem Mülleimer der ‘Masperisatoren’ unverantwortlich wiederzugeben. Er ‘masperisiert’ auf eigene Rechnung: S.165 führt er ein ‘ununterzeichnetes Flugblatt’ an, das “den Standpunkt der Situationisten ziemlich gut zum Ausdruck bringt”. Woher dieses Vorauswissen? Ganz einfach: es handelt sich - diesmal als einzelner Text - um die neun widerlichen, CGT-freundlichen Zeilen, die von der Zeitschrift ‘Partisans’ als eingeschobener Anfang zum Bruchstück eines vom CMDO unterzeichneten Flugblatts gebraucht worden sind. Durch diese Art, den gepfropften Text so zu isolieren, wird bewiesen, dass man genau wusste, dass es sich um ein selbständiges Flugblatt handelte - stilistisch denen ähnlich, die zu dieser Zeit von Leuten wie Rebérioux, d.h. leicht kritisch gesinnten Stalinisten, geschrieben werden konnten. Dass man es aber der S.I. zuschreibt, zeigt, dass man sich die von Maspero bei seiner Vermischung gewagte Zuweisung zunutzemachen will. Man kennt also Masperos Fälschung als solche und benutzt sie munter als Bezugnahme, ohne es ausdrücklich zu sagen, indem man aber durch interne Kritik die falsche Information hinter einer falschen Kenntnis verdeckt (vgl. “den Standpunkt…ziemlich gut zum Ausdruck bringt…”).
Am 24.Oktober hat die S.I. einen Brief an Maitron geschickte, in dem sie sich auf Beweise stützte, um ihn auf die gröbsten uns betreffenden Fälschungen in seinem Buch aufmerksam zu machen, und ein ‘Entschuldigungsschreiben’ verlangte. Als Maitron vierzehn Tage danach immer noch nicht geantwortet hatte, gingen Riesel und Viénet zu ihm nach Hause, beschimpften ihn, wie er es verdient hatte und zerbrachen, um ihren Worten mehr Kraft zu geben, eine Suppenschüssel, die für diesen Historiker angeblich ‘ein Familienstück’ war.
Damit hatten wir diesem Individuum gezeigt, dass seine klare Unehrlichkeit nicht unbemerkt bleiben würde und ihn sogar auf unangenehme Weise Beleidigungen aussetzen könnte, was unserer Meinung nach denjenigen, die ihm nacheifern möchten, zu denken geben wird. Die durch eine so einfache Geste verursachte Aufregung hat gezeigt, dass wir unser Ziel nicht verfehlt hatten. Schon am 17.November denunzierten die Stalinistin Rebérioux und ihre Kollegen in einem in ‘Le Monde’ veröffentlichten Brief die Art und Weise, wie ihr ‘Kollege und Freund’, Jean Maitron, “einem regelrechten Überfall in seinem Wohnsitz zum Opfer gefallen ist. Einige junge Leute, die sich im Namen der S.I. vorgestellt und über ein Werk unzufrieden erklärt hatten, das doch so verfasst worden war, dass alle Meinungstendenzen darin vertreten waren, haben ihn beschimpft und verschiedene Gegenstände bei ihm zerschlagen.” Auffallend ist der stalinistisch-scheinheilige Stil. Es wird deswegen von einem “regelrechten Überfall” gesprochen, weil man genau weiß, dass ein ‘Überfall’ etwas ganz anderes ist. Ferner wird dieser von ‘einigen’ jungen Leuten verübt, weil es nur zwei waren - was schon weiter geht als das berühmte primitive Zahlenschreiben ‘eins, zwei, viele’. Übrigens haben Riesel und Viénet Maitron ihren Namen gesagt und längere Zeit von dem erwähnten Brief gesprochen, den sie mitunterzeichnet hatten. Es handelt sich überhaupt nicht darum, ob im betreffenden Werk alle ‘Meinungstendenzen’ vertreten waren, sondern ob unsere eigenen Texte gefälscht wurden oder nicht, wenn sie für abdruckenswert gehalten werden usw. Nach einigen anderen fügt im Dezember 1968 ‘Quinzaine Littéraire’, die sich weiter auf dieselben guten Quellen stützt, noch einiges hinzu: “Dieses ehrliche Werk eines Historikers konnte nicht jedem gefallen… Jean Maitron wurde das Opfer eines regelrechten Überfalls in seinem Wohnsitz. Leute, die sich auf die S.I. berufen haben, behaupteten, sie würden dadurch ihre Reaktion zum Ausdruck zu bringen, indem sie bei ihm eine Schreibmaschine und verschiedene Kunstgegenstände zerschlugen. Reagieren - wogegen? Ihre Gruppe wird in dem Buch zitiert und ein von ihr stammendes Dokument großzügig (soll das der Anfang eines Zugeständnisses sein? - Bemerkung der S.I.) angeführt. Wollten sie durch diesen so unsinnigen wie ungeheuren Überfall daran erinnern, dass es in den sozialen Bewegungen immer wieder ‘Außenstehende’ gibt, die dies sein wollen und so handeln, dass man vor ihnen nicht mehr die Achtung haben kann, die man allen mutigen Militanten entgegenbringen muss?” In einer Rundfunksendung vom 5.Februar 1969 denunzierte Maitron, der wahrscheinlich höchst verwundert darüber war, dass er diesen ‘ungeheuren’ Überfall noch überlebt hatte, dann die Situationisten, die sein Haus “verwüstet haben” und behauptete, er fürchtete sich nicht vor ihnen. Da er es ganz und gar versäumt hatte, irgendeinen Grund für diesen ‘Überfall’ zu erwähnen, können wir hoffen, dass er sich vor uns nicht fürchtet, weil er von nun an entschlossen ist, unsere Texte nicht mehr zu fälschen. Was sehr gut für alle sein wird.
Über das Komische an diesem Zwischenfall hinaus - “sie haben dort beträchtlichen Schaden angerichtet”, schreibt ‘Révolution Prolétarienne’ vom Dezember 1968, die weiter von ‘Faschismus’ spricht und sogar zur ‘Gegengewalt’ antreibt - gibt es eine wichtige Frage. Unserer Meinung nach ist heute in erster Linie - und zwar noch vor der Ausarbeitung selbst einer konsequenten theoretischen Kritik, der Verbindung mit demokratischen Basiskomitees in den Fabriken bzw. der Lahmlegung der Universitäten - die praktische Unterstützung der Forderung nach Wahrheit und Nicht-Fälschung das erste Ziel der zur Zeit im Entstehen begriffenen revolutionären Bewegung. Das ist die Vorbedingung und der Anfang zugleich von allem übrigen. Alles, was verfälscht, muss diskreditiert, boykottiert und als Kanaille behandelt werden. Wenn es sich um lügenhafte Systeme handelt - wie im Fall der stalinistischen Bürokratie und der Bourgeoisie - müssen natürlich diese Systeme selbst durch einen großen politischen und sozialen Kampf zerstört werden. Dieser Kampf muss aber seine eigenen Vorbedingungen selbst schaffen: wenn man mit Individuen bzw. Gruppen zu tun hat, die in der revolutionären Strömung, wo immer es auch sein mag, einen Platz einnehmen wollten, darf man nichts unbemerkt bleiben lassen. Dadurch kann die Bewegung von Grund auf alle Bedingungen der Fälschung zunichtemachen, die während eines halben Jahrhunderts ihre Beseitigung begleitet und verursacht haben. Für uns müssen jetzt alle Revolutionäre es als ihre sofortige Aufgabe erkennen, diejenigen mit allen Mitteln und um jeden Preis zu entlarven und zu entmutigen, die weiter fälschen wollen. Wir wollen auf gar keinen Fall ‘die Achtung’ genießen, “die man allen mutigen Militanten entgegenbringen muss”. Die mutigen Militanten haben der proletarischen Bewegung zuviel geschadet, und die feigen noch mehr. Wir wollen tatsächlich ‘Außenstehende’ sein gegenüber dem elenden generalisierten Kompromiss der letzten Jahrzehnte und diejenigen, die wissen, dass es da drinnen nichts mehr zu tun gibt, werden immer zahlreicher. Genau wie es in dem Brief stand, den Maitron nicht früh genug verstehen konnte: “Zweifeln Sie nicht daran, mein Herr, dass das Klassenbewusstsein unserer Epoche weit genug fortgeschritten ist, um mit seinen eigenen Mitteln die Pseudo-Spezialisten seiner Geschichte zur Rechenschaft zu fordern, die von ihrer Praxis weiterhin leben wollen.”
Um von vornherein denen zu antworten, die noch einmal sagen werden, dass die Situationisten immer alle mit gleicher Heftigkeit beschimpfen und alles im Absoluten tadeln, wollen wir zwei Bücher erwähnen, die sich weitgehend mit Dokumenten bzw. der Analyse unserer Tätigkeit im Mai beschäftigt haben: ‘Das revolutionäre Projekt’ von Richard Gombin (Verlag Mouton, 1969) und ‘Tagebuch der Studentenkommune’ von Alain Schnapp und P. Vidal-Naquet (Verlag Seuil, 1.Trimester 1969). Obwohl wir Methoden und Ideen dieser Autoren, sowie fast alle ihre Interpretationen und sogar einige der nacherzählten Tatsachen nicht billigen, geben wir doch gern zu, dass diese Bücher ehrlich verfasst wurden und Dokumente genau zitieren, die sie auf ihre Originalfassung hin geprüft haben; dass sie folglich Materialien liefern, die zur Geschichtsschreibung der Bewegung der Besetzungen benutzt werden können.