Mit einem ziemlich übertriebenen Titel - ‘Die Kommune von Nantes’ (Verlag Maspero, Mai 1969) - ruft ein gewisser Yannick Guin die Bewegung der Besetzungen in Nantes wach, wobei er folgende unvermeidliche Banalität des gemäßigten Gauchismus verbreitet: es soll in Nantes den Ansatz zu einer ‘Doppelherrschaft’ gegeben haben, da das Intersyndikal-Streikkomitee tatsächlich neben dem Präfekten und schon mehr als er die Kontrolle über die Stadt ausgeübt hat. Bekanntlich üben gauchistische bzw. revolutionär-syndikalistische Minderheiten in den Gewerkschaften von Loire-Atlantique - in der F.O. und sogar in der CFDT - einen Einfluss aus, der ihrer wirklichen Bedeutung auf nationaler Ebene überhaupt nicht entspricht, was mit bestimmten, lokal vorhandenen Traditionen der Arbeiterkämpfe und ökonomischen Bedingungen zu tun hat.
Schon 1953 kamen während des großen Streiks solche Ansätze einer Macht des aufrührerischen Streikzentralkomitees in Nantes deutlich zum Vorschein - ein schönes Überbleibsel der damals im Syndikalismus enthaltenen revolutionären Möglichkeiten in einer Epoche der allgemeinen Liquidierung der Arbeiterbewegung. 1968 war die Situation eine ganz andere. Nach den Sabotageaktionen, die von der Universität aus von der Gruppe der revolutionären ‘Studenten’ durchgeführt worden waren, die das lokale UNEF-Büro innehatten (Yvon Chotard, Quillet usw.) und zum ersten Mal in Frankreich die rote und die schwarze Fahne zusammen wieder auf den Straßen auftauchen ließen, kam der entscheidende Beitrag der Bewohner von Nantes selbstverständlich von den ‘Sud-Aviation’-Arbeitern, die am 14.Mai die Fabrikbesetzungen einleiteten. Es ist aber falsch, von dieser beispielhaften Aktion auszugehen und Nantes als eine Stadt zu betrachten, die an der Spitze der Mai-Bewegung gestanden hätte. Der Mai war hauptsächlich ein im ganzen Land stattfindender wilder Streik und überhaupt kein ‘generalisierter Streik’, wie die Bürokraten und diejenigen, die sich nicht von ihnen zu unterscheiden wagen, schamhaft sagen. Dieser Streik hat sich nicht wie eine im Laboratorium beobachtete Reaktion durch eine Art mechanische Unschuld neben Gewerkschaften ‘generalisiert’, die nie zum ‘Generalstreik’ aufrufen wollten, weshalb sie seither diesen klassischen Ausdruck nicht gebrauchen durften - in der Tat hat sich der Streik gegen sie erweitert. So stand, während eine revolutionäre Strömung von Arbeitern zum ersten Mal bereits im ganzen Land gegen die Gewerkschaften kämpfte, die Pseudo-Kommune in Nantes mit ihrem führenden Intersyndikal-Komitee eigentlich weit hinter dem, was in der Bewegung der Besetzungen am Neuesten und am Tiefsten war.
Neben den üblichen Albernheiten, aus denen dieses schlechte Buch besteht, hat Guin Anekdoten über den sehr wichtigen Beitrag der revolutionären ‘Studenten’ von Nantes einen beträchtlichen Platz eingeräumt, die, obwohl sie manchmal echt sind, immer wieder böswillig dargestellt werden. Mindestens eine von ihnen ist eine reine Lüge. Im IV. Kapitel ist folgendes zu lesen: “Praktisch übte die S.I., mit der häufiger Verkehr gepflegt wurde, den wirklichen Einfluss aus. Aber auch hier war der Nantes-Lokalpatriotismus noch deutlich zu spüren. So konnte man z.B. beobachten, wie Vaneigem, der hauptsächliche denkende Kopf der S.I., in Nantes landete, sich im A.G.E.N.-Lokal meldete und sofort nach Chotard fragte. Es wurde ihm absichtlich geantwortet, man wüsste nicht, wo er sei. So musste Vaneigem einen ganzen Nachmittag warten und dabei das Lächeln der Studenten von Nantes ertragen.”
Diesen Kriminalroman hat nie jemand im geringsten ‘beobachtet’ außer dem Verfasser, der ihn erfunden hat. Vaneigem und ein Arbeitergenosse sind als Delegierte des ‘Rats für die Aufrechterhaltung der Besetzungen’ (CMDO) nach Nantes gefahren, wo sie sich sofort nach ihrer Ankunft mit Chotard trafen. Sie sollten selbstverständlich einer revolutionären Gruppe keinen ‘Befehl’ erteilen, die sowohl gegenüber der S.I. als auch gegenüber dem CMDO vollkommen autonom war. Vaneigem, dessen Name in Nantes ein wenig bekannt war, hütete sich davor, als Star aufzutreten: er weigerte sich sogar, bei einer Demonstration eine Rede zu halten, wozu man ihn in Nantes aufgefordert hatte. Die CMDO-Delegierten begnügten sich damit, Informationen mit den Revolutionären in Nantes auszutauschen, die schon zwei oder drei Mal einige Genossen (unter ihnen Chotard) nach Paris geschickt hatten, wo sie durch den CMDO so schnell und herzlich empfangen worden waren, wie das natürlich war. Sie waren offensichtlich nicht nach Paris gekommen, um Befehle zu erhalten, und glücklicherweise dachte keiner daran, ihnen welche zu erteilen. Selbstverständlich waren sie auch nicht gekommen, um uns welche zu erteilen.
Wenn einige radikale Genossen in Nantes, die im Laufe des Jahres vor der Bewegung der Besetzungen mit der S.I. auf einer klar festgesetzten Basis der Autonomie und der Gleichheit einige Diskussionen geführt und Briefe gewechselt hatten, allmählich vielen - aber nicht allen - unserer Positionen näher gekommen waren, so war das in voller Freiheit, durch eigene Überlegung und vor allem konkrete Erfahrung geschehen. Zwischen uns gab es kein offenes oder geheimes Organisationsband; noch weniger hätte man bei diesem Austausch die geringste Spur einer Unterwerfung finden können, die wir auf keinen Fall wollten und die sie gewiss genauso wenig gewollt hätten.
Aus dem, was folgte, scheint sich herauszustellen, dass das für uns Selbstverständliche für sie alle nicht so selbstverständlich zu sein schien, und dass diese Frage sogar einige von ihnen undeutlich störte. Nachdem wir Guins Buch gelesen hatten, fragte die S.I. schriftlich bei den Nantes-Genossen nach, wie sie auf diese Verleumdung reagieren wollten und was genau sie über diesen Guin wussten. Sie haben es für gut gehalten, auf den letzten Punkt hinhaltend zu antworten. Was den ersten betrifft, sagten sie, dass die Verleumdung gegen Vaneigem nur eine Einzelheit in diesem allgemein verleumderischen Buch sei, dass sie aber nicht wie wir meinten, es sei eine ‘revolutionäre Pflicht’, den Verleumdern einen Nasenstüber zu geben. Ferner meinten sie auf ziemlich komische Weise, sie seien über dieses Problem hinaus, da sie kurz zuvor jeden Bezug zur Universität von sich gewiesen und sich zum ‘Rat von Nantes’ aufgeschwungen hätten. Ohne das Problem der Gültigkeit einer voluntaristischen Proklamation von proletarischen Räteorganisationen erörtern zu wollen, die einfach am Rand der Universität, aber mit denselben Rekruten existieren, meinten wir, dass der Mangel an Strenge der Genossen vom ‘Rat von Nantes’ leider zu erkennen gab, dass sie sich die Wahrheit der einzigen Lehre nicht angeeignet hatten, die sie ohne unberechtigte Beschämung gewiss von uns hätten bekommen müssen. Trotz all dem, was wir immer noch für höchst schätzenswert an ihrer Aktivität des Jahres 1968 haften - insbesondere an Yvon Chotard, dessen revolutionäre Absichten und bemerkenswerte Fähigkeiten wir anerkennen - hat die S.I. sofort jede Verbindung mit alles Mitgliedern des gegenwärtigen ‘Rates von Nantes’ abgebrochen (Juvénal Quillet hat uns jedoch kurz danach mitgeteilt - darauf wollen wir aufmerksam machen - er habe sich sofort von ihm losgesagt, obwohl auf einem Plakat des ‘Rates von Nantes’ fälschlicherweise seine Unterschrift stehe.).