Noch schlimmer als der alte ist der ‘Nouvel Observateur’, ein Niagarafall der Dummheit - 6.810.000 Liter pro Sekunde - wobei ein beträchtlicher Teil dieser Ausflussmenge zwei seiner besonders verdienstvollen Redakteuren - Katia Kaupp und Michel Cournot - zuzuschreiben ist. Ihre Schriften werden als wertvolle historische Dokumente bei der Untersuchung der höchsten Entwicklungsstufe der spektakulären Auflösung der Kultur gelten: die mit der Ausdrucksvulgarität verbundene Dummheit macht aus ihnen einen Jean Nocher der Linken (einer Linken, die genauso grundsätzlich wie Jean Nocher der herrschenden Gesellschaft beipflichtet, bis auf einige, die ‘Modernisierung’ dieser Herrschaft betreffende Nuancen). Für ihren Einführungsfeldzug musste diese Wochenschrift zu Sonderleistungen greifen. So war in ihrer ersten Nummer (vom 19.11.1964) das fünfseitige Interview mit einem Star des Denkens zu lesen. Wir wollen hier einige seiner außergewöhnlichsten Äußerungen hervorheben, wobei die in Klammern gesetzten Bemerkungen jeweils von uns stammen und natürlich nicht von der ‘Nouvel Observateur’-Marionette, die vorgab, sich mit dem Wahrsager zu unterhalten.
“Vielleicht sind die jungen Leute, die mir heute begegnen”, so der Schwachkopf, “weniger Hitzköpfe als früher, mir fällt aber am meisten auf, dass sie politisch oft so weit sind wie ich. Ihr Ausgangspunkt ist mein Endpunkt… Vor ihnen steht außerdem ein ganzes Leben, um auf der Basis aufzubauen, die mein Ergebnis ist.” (Selbstverständlich möchten die jungen Leute, die nicht zum selben Punkt des politischen Verfalls gelangt sind, keinesfalls den Schwachkopf sehen; für diejenigen, die leider dahin gekommen sind, könnten vielleicht hundert ‘vor ihnen’ liegende aufeinanderfolgende Leben nichts auf der Basis seines Endpunktes aufbauen, da alles zeigt, dass er eine geistige Sackgasse ist).
“Indem man die ‘yeah-yeah’-Erscheinung benutzt hat, wollte man aus der Jugend eine Klasse von Konsumenten machen”. (Eine perfekte Umkehrung der Wirklichkeit: gerade deswegen, weil die Jugend in den modernen kapitalistischen Ländern zu einer sehr wichtigen Konsumentenkategorie geworden ist, treten Erscheinungen wie ‘yeahyeah’ auf.)
“Sie können nur auf die marxistische Ideologie anspielen. Meines Wissens gibt es heute keine andere. Die bürgerliche Ideologie glänzt nicht durch ihre Stärke, sondern durch ihre Abwesenheit.” (Wer Marx gelesen hat, weiß, dass seine Methode eine radikale Kritik der Ideologien ist; wer aber nur Stalin gelesen hat, kann den ‘Marxismus’ dafür loben, die beste Ideologie geworden zu sein: die mit der stärksten Polizei.).
“Der Sozialismus kann als Idee rein sein - oder vielleicht erst viel später, wenn er zum Regime aller Gesellschaften wird. Inzwischen hat seine Verkörperung in einem besonderen Land zur Folge, dass er durch unendlich viele Beziehungen zur übrigen Welt gemacht und definiert wird. Dadurch verdirbt sich die Reinheit der Idee, wenn die Wirklichkeit Gestalt annimmt”. (Da sehen wir also einen marxistischen Ideologen mit seiner ideologischer Nummer! Die Ideen sind im Himmel rein und sie verkörpern sich in der Fäulnis. Dieser Denker kommt offensichtlich darüber hinweg, eine in ihren ‘Beziehungen zur übrigen Welt’ verdorbene Ware zu sein, da er selbst wirklich ist und von dem Grundsatz ausgeht, dass jede Verwirklichung in der Welt ein wesentliches Verderben sein muss - und uns dazu führen soll, so angegangenes Aas wie ihn zu bewerten.)
Gleich danach gibt der Schwachkopf folgende, von ihm sehr bewunderte Äußerung eines Malers wieder: “Unser Sozialismus wird dadurch bedingt, dass wir ein Binnenland ohne Zugang zur See sind”. (Ist er auch vielleicht nicht ein wenig durch die Abwesenheit eines Industrieproletariats in Mali bedingt? Eine Kleinigkeit, gegenüber der Geopolitik eines so gewichtigen Denkers!)
Auf die Vorstellung, dass alle Industriegesellschaften viele gemeinsame Kennzeichen hätten, erwidert der Schwachkopf: “Um das behaupten zu können, sollte man beweisen dass es in den sozialistischen Ländern einen Klassenkampf gibt, d.h. dass die einigen eingeräumten Vorteile angehäuft werden. Das ist aber nicht der Fall. Es gibt zwar sehr wirkliche Ungleichheiten, aber das von einem Betriebsdirektor verdiente Geld kann in der UdSSR nirgends reinvestiert werden. Es wird ausgegeben und kann in seinen Händen weder wiederhergestellt noch vermehrt werden, um zur Grundlage einer Klassenmacht zu werden”. (Diese Grundlage liegt anderswo - und zwar im Besitz des Staates. Das, was der Privilegierte in der UdSSR gewinnt, begründet nicht seine Macht, sondern bringt sie klar zum Ausdruck.)
“Die Sowjetmenschen nehmen daran Anstoß wenn einer glaubt, das Geld könne bei ihnen Macht verleihen.” (Natürlich - es ist genau umgekehrt.)
“Sicherlich haben diese ‘oberen Funktionäre’ zahlreiche Vorrechte, aber in genau dem Maße, in dem das Regime autoritär ist, gibt es eine gesellschaftliche Wandelbarkeit, ein Durcheinandergeraten, Stürze, ein ständiger Luftzug, durch den die Ankömmlinge von der Basis zum Gipfel befördert werden. Sollte es in der UdSSR zu Konflikten kommen, so würden sie die Gestalt des Reformismus und nicht die der Revolution haben.” (Also ist die Willkür selbst gegen das Vorhandensein einer herrschenden Klasse in der UdSSR Zeuge, so dass man bei einem solchen Grad der Herausforderung der Intelligenz behaupten könnte, dass der Kapitalismus der freier Konkurrenz zu Marxens Zeit auch sozialistisch war, da viele Industriebesitzer durch dessen ökonomische Gesetze ruiniert wurden und es passieren konnte, dass einige Arbeiter zu Unternehmern wurden… - daher die Wandelbarkeit, das Durcheinandergeraten usw.)
Aber die Idee eines reinen Schwachkopfs solchen Umfangs wäre tatsächlich eine ‘reine Idee’. Ein solcher, wirklich vorhandener Schwachkopf muss sich noch dazu mit einer unterdrückenden Macht fest identifiziert haben. Demselben lag es nach dem bewaffneten Aufstand des ungarischen Proletariats in einem dieser ’sozialistischen Länder’ in denen “man jetzt beweisen sollte”, dass es Klassenkämpfe geben kann, so sehr am Herzen, die Interessen der russischen Bürokratie zu verteidigen, dass er noch weiter rechts als Chruschtschow stand, als er schrieb: “Wahrscheinlich war der Bericht Chruschtschows der größte Irrtum, denn die öffentliche und feierliche Entlarvung und die detaillierte Darstellung all der Verbrechen eines heiligen Helden, der so lange das Regime vertreten hat, ist ein wahnsinniges Unternehmen, wenn eine beträchtliche Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung eine solche Aufrichtigkeit vorher nicht möglich macht … Das hat dazu geführt, den Massen die Wahrheit bekannt zu machen, die für sie nicht bereit waren.”
Der Denker, von dem wir gesprochen haben, ist Sartre, und wer immer noch ernsthaft über den philosophischen, politischen oder literarischen Wert (in einem solchen Salat gibt es keine Einzelteile) dieser wahren Null diskutieren will, die durch die verschiedenen Autoritäten aufgebläht wurde, der büßt gleich das Recht ein, selbst als Gesprächspartner akzeptiert zu werden von denen, die auf das mögliche Bewusstsein unserer Epoche nicht verzichten wollen.